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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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gehen gleich raus und reden.
    Wart mal, ich schreib dir das auf.
    Haben wir nicht herrliches Wetter? Angenehmen Sonnenschein und angenehmen Wind.
    Mutter steckt den Zettel zwischen die Holzscheite im Herd, sobald ich ihn gelesen habe. Das Gespräch über das Wetter setzen wir fort, bis auch die Großmutter sich fertig gemacht hat, um hinauszugehen.
    Dasselbe Verfahren auf der anderen Seite der Grenze. Wir hatten vielleicht fünf Jahre in Finnland gewohnt, als unser Telefon verstummte. Mutter rief den Techniker. Der wunderte sich, warum sie ihn rief und warum wir nicht einfach den Hörer von unserem zweiten Apparat auflegten.
    Von welchem zweiten Apparat?
    Na, von dem Parallelapparat.
    Wir haben keinen Parallelapparat.
    Nein?
    In die Nachbarwohnung war eine Familie eingezogen, deren Vater bei einer typisch finnischen Telefongesellschaft arbeitete. Ein Zufall?
    Mutter hat einen Zeitungsartikel ausgeschnitten, in dem von einer russischen Frau berichtet wird, die in einem typischfinnischen See ertränkt worden und deren zwölfjähriger Sohn erwürgt zu Hause aufgefunden worden ist. Der finnische Ehemann weiß von nichts.

BEI
GROßMUTTER
AUF dem Lande auf der anderen Seite der Bucht war es nicht anders. Die Nächte waren so schwarz, dass ich es nicht wagte hinauszusehen. Ich blieb wegen der Einbrecher n-n-n-nach Kräften wach und zitterte … Der Hund hat den ganzen Abend gebellt. Das gefällt mir nicht, das gefällt mir gar nicht … Manchmal schlief ich ein, manchmal lag ich mit gefalteten Händen wach, bis ich Großmutters Metallbett quietschen und ihren Stock auf dem Dielenboden klopfen hörte, wenn sie morgens in die Küche ging, um Feuer im Herd zu machen. … Du musst uns den Hund hier auf dem Lande lassen, du musst … In der Stadt vergisst man leicht, was Dunkelheit bedeutet. Ich war die Erste, die sich am Abend vergewisserte, dass der riiv , der Riegel an der Tür, vorgeschoben war – ein von Großvater gefertigtes Eisen, das vor die Innentür geschoben wurde. Mutter verkeilte noch eine Eisenstange vor der Haustür, indem sie deren eines Ende gegen den Türpfosten der Innentür stemmte, was es unmöglich machte, die Haustür zu öffnen, selbst wenn man das Schloss aufbekommen hätte. … Guck mal, der Hund will nicht weitergehen als bis in die Küche, er bleibt mit erhobener Schnauze stehen und wittert in Richtung Kammer … Großvater hatte immer gesagt, die Schlösser seien nur für die Tiere da.
    Ich kontrollierte auch die Haken der Tür, die von der Küche in den Kuhstall führte, sowie die Fenster. Ich wagte es nicht, Mutter zu sagen, wir sollten die Vorhänge zuziehen, denn ich wollte nicht, dass Mutter dachte, ich nähme an, dort draußen überwache, beobachte und bespitzele uns jemand, bereit, hereinzukommen. … Der Hund bellt wieder … das war richtige Angst, ich nenne sie richtig, weil man jetzt und hier in Finnland denken könnte, man könne sich doch immer irgendwie helfen, es gibt Kameras Telefone Alarmanlagen Straßenlaternen, die Notrufnummer lernt man gleich in der Schule, wenn man sie noch nicht kennt, aber dort war nichts, kein Telefon, keine Verbindung zur Außenwelt, keinerlei Schutz durch die Amtsgewalt, an Waffen nur Mistgabel und Heureuter, möglicherweise waren wir völlig illegal in dem Haus, ringsum schwarze Finsternis und das Land voller Ganoven, für die schon allein die Tatsache interessant war, dass es hier eine Mutter von im Ausland lebenden Esten gab. Wie sollten wir dort irgendjemandem erklären, dass wir gewöhnliche, geringverdienende Menschen waren, wo doch jeder Finger eines Ausländers ein eigenes Eldorado bedeutete? Natürlich hatten wir Kleider, für die man ein erkleckliches Sümmchen bekommen würde. Aber ich wollte nicht wegen zweier neongrüner T-Shirts umgebracht werden oder weil Mutter eine politisch zweifelhafte Person war, die einen Ausländer geheiratet hatte und eine Spionin der Kapitalisten sein konnte, bereit, zum Beispiel die Speisereste im Restaurant des Hotels Viru zu vergiften, die an die Schweine verfüttert wurden, aus denen später Fleisch wurde, sodass sich das Gift überallhin verbreitete. Deshalb wurden die Speisereste des Hotels Viru auch vernichtet und nicht den Schweinen vorgeworfen, wie man es sonst getan hätte. Also nicht nur wegen Mutter, sondern generell deshalb, weil jeder Agent einer fremden Macht so handeln konnte.

NIEMAND
VON
UNS rauchte damals bei Großmutter auf dem Land. Aber unter dem Fenster schwebte immer mal wieder der

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