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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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davon. Sie fahren einfach fort. Steigen in ihr Auto, lassen den Motor an und fahren weg.
    Anna und Großmutter gehen hinaus. Mutter steht immer noch am Anfang des Weges, in der Hand einen Ziegelstein und bereit, ihn in die Richtung zu schleudern, wo eben noch die Windschutzscheibe des Lastautos gewesen ist.
    Der Lkw war ein herkömmliches Kolchosmodell gewesen. Die Männer auf der Pritsche hatten graubraune Arbeitskleidung getragen, einige hatten auf dem Kopf eine schwarze Baskenmütze, andere einen Hut Modell Lenin gehabt – gewöhnliche Arbeiter, hätte man zunächst denken können. Die Fahrerkabine war hellblau gewesen, kolchosblau, dierunden Scheinwerfer wie dumme Augen. Die Männer waren von der Pritsche des Lkw herabgesprungen – zu diesem Zeitpunkt waren Anna und die Großmutter schon im Versteck –, und die Mutter war ihnen entgegengetreten und fünf Meter vor dem Auto stehen geblieben – zufällig hatte sie einen Ziegelstein in der Hand.
    Mist te pagana bandiitit siin teette? Kas te saate siit minema! Was macht ihr verdammten Banditen hier? Verschwindet!
    Und dann war Mutter zum Russischen übergegangen.
    Mutter hatte einen alten Hauskittel angehabt, genau so einen wie die anderen Kolchosfrauen, aber geblümt, einen vorn von oben bis unten durchgeknöpften Baumwollkittel, der bis auf die Waden reichte, Mutter hatte Wäsche gewaschen und Holz gehackt. Wenn die Tante, die Cousinen oder andere Gäste da gewesen wären, hätte Mutter sich schnell einen Freizeitanzug oder Trainingshosen und ein T-Shirt angezogen, das musste auf dem Lande ausreichend import sein. Einen richtigen blauen Arbeitskittel wie eine Viehpflegerin im Kolchos hatte sie aber nicht, nur diesen Hauskittel, kittel oder eigentlich kittelkleit , eine Kittelschürze, für kälteres Wetter aus Flanell und für wärmeres aus Baumwolle mit kurzen Ärmeln. Ein so schlichtes Kleidungsstück hatte sich als der wirksamste Schutz erwiesen.
    Keiner der Ganoven auf der Pritsche des Lkw hätte sich vorstellen können, dass dieses schreiende und keifende Kolchosweib eine finnische Dame auf Besuch war. Vielleicht hatten sie noch nie einen Menschen aus Finnland und auch keinen anderen Ausländer aus kapitalistischen Staaten zu sehen bekommen. Sie hatten keine Bilder oder Filme von dem Shangri-la namens Finnland gesehen. Sie hatten wohl erwartet, dass Mutters Füße mit Turnschuhblattgold bedeckt und ihr Schweiß Ambrosia des Fii-Deodorants, garniert mit dem Kleinen Schwarzen, ist. An Anna und der Mutter musste doch etwas Erstaunliches sein, etwas Fremdes, etwas Neues, ja, das müsste sich an ihren Augen zeigen, dass siemit Bananen und echtem Kaffee verwöhnt worden waren und nicht mit irgendeinem Ersatz.
    Zwar trinkt Mutter selbst auf unseren Estlandreisen demonstrativ den Ersatzkaffee, aber für Gäste kocht sie Presidentti – Kaffee oder Jubileumsmokka – in die leeren Packungen hatte Mutter estnischen Ersatzkaffee mit einem geringen Anteil von echtem Kaffee gefüllt, bevor die Gäste kamen, denn sie kann nicht für jeden einzelnen eine Packung Kaffee mitbringen, nur für diejenigen, wo es unbedingt sein muss. Alle Gäste sind von dem guten finnischen Kaffee begeistert. Der ist doch so ganz anders als der von hier. Viel besser. Der Unterschied ist so groß, dass es einem den Atem nimmt, wenn man an allen möglichen Ersatzkaffee gewöhnt ist und plötzlich ganz richtigen Kaffee vorgesetzt bekommt!
    Die Marderaugen, die alles gesehen und erlebt hatten, die Gefängnisratten kennengelernt und ihre Haut unter dem Arbeitskittel blau gestochen hatten, und ihre beschränkten Gehilfen mussten derart verblüfft gewesen sein, dass sie kein anderes Mittel sahen, als den Rückzug anzutreten. Großmutters Haus ist wie die anderen Häuser des Dorfes: ein Blechdach über der Haustür, ansonsten ein Reetdach, das der Großvater jeden Herbst hochgeklopft hatte, damit es in Ordnung blieb. Pfingstrosen und Löwenmäulchen. Am Wegrand Kalkstein. Auf dem Hof in einer Aluminiumschüssel Wasser zum Füßewaschen und ein Zinkeimer für Schmutzwasser, das in den Graben geschüttet werden sollte. Mutter in Galoschen. Vor dem Kuhstall der traditionelle koogukaev , der Brunnen, aus dem das Wasser geschöpft wird, indem man den Eimer an einem Hebel in den Brunnen hinablässt; der Kuh- und der Pferdestall an das Haus angebaut, als Letztes die Scheune, in die man nicht gelangt, ohne das Haus zu verlassen. Aus denselben grauen Brettern wie die anderen Scheunen. Der Kuhstall mit einem

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