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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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ebensolchen Steinsockel wie die anderen Kuhställe. Ein ebenso eingezäunter Garten und Apfelbäume. Und ein Pumpbrunnen vor der Haustür.
    Ich kaufe mir 1994 oder 1995 in Haapsalu eine geblümte Kittelschürze und benutze sie zu Hause in Finnland. Jetzt sind sie schon aus den estnischen Geschäften verschwunden. Man sieht sie nur noch an den gebeugten alten Frauen auf dem Land.

1974
    Noch ein Monat, bis das Ehefähigkeitszeugnis ungültig wird. Natürlich könnte man ein neues Zeugnis besorgen, das wieder drei Monate gültig ist, und natürlich könnte man ein neues Aufgebot für die Trauung im Magistrat bestellen. Und natürlich könnte man wieder hoffen, dass das Ehefähigkeitszeugnis und das Visum des Bräutigams zum Termin im Magistrat gültig sind. Da der finnische Bräutigam sich nicht auf den Papierkrieg und die endlosen Zeugnisse versteht, muss Katariina sich auch für ihn darum kümmern und die falsch ausgefüllten Formulare korrigieren und auftreiben. Auch die einfachsten Dinge sind kompliziert, und der Finne schickt Katariina aus Moskau Postkarten, auf denen steht: »Dies ist eine völlig verrückte Stadt. Hier funktionieren die Telefone nicht und auch sonst nicht viel.«
    Arnolds Sache ist immer noch bei Gericht anhängig.
    Katariina schreibt verliebte Briefe nach Moskau, aber ihre Finger, die den Stift umklammern, sind eiskalt, und das Schreiben fällt ihr schwer. Vielleicht gewöhnt sich der Mensch nicht daran, etwas anderes zu denken als zu schreiben.
    Falls der Vater verurteilt wird, darf Katariina ihren Finnen nicht heiraten und auch nicht ausreisen. Wenn der Vater verurteilt wird, sieht Katariina ihn niemals wieder. Wenn der Vater verurteilt wird, werden sie ihn mit Arbeit, Kälte,Hunger oder auch nur durch Prügel zu Tode schinden, was die leichtere Alternative wäre. Sie dürfen Vater nicht verurteilen.

WIR
BEFOLGTEN
SOWOHL die Anweisungen des KGB als auch die der finnischen Sicherheitspolizei, nach denen wir mit Leuten aus dem Ostblock nichts zu tun haben durften.
    Das waren nämlich alles »solche«.
    Und damit waren nicht »solche« Frauen gemeint wie Mutter, sondern nuhkeja , Schnüffler.
    Und es hatte auch kaum einen Sinn, mit Finnen zu tun zu haben, weil die Sicherheitspolizei auch sie befragen konnte.
    Ich habe Mutter niemals gefragt, was das war, was man der Sicherheitspolizei nicht erzählen durfte. Ob es so etwas überhaupt gab.
    Außerdem wollte Mutter das auch gar nicht. Mit irgendjemandem zu tun haben. Beziehungsweise wir wollten das nicht, Mutter und ich. Das war das Beste. Also, das Klügste. Also, das Vernünftigste. Zu meinem Besten. Zu ihrem Besten. Zu unser beider Wohl. Wenn man mit niemandem zu tun hat, gerät man auch nicht an Verräter. Denen darf man gar keine Chance geben. Gleichzeitig vermieden wir dadurch das Bekanntwerden unserer Fremdblütigkeit, die neugierigen Fragen der Nachbarn, das Austauschen von Urlaubsberichten, den Klatsch der Bekannten und die bohrenden Fragen der Verwandten, das widerlich unschuldige Geplauder am Kaffeetisch, die Verwunderung darüber, warum Mutter nicht berufstätig war. Und da die Erwachsenen immer die Kinder ausfragen, die schlecht lügen können, und immer nach den Dingen fragen, über die die Kinder die Erwachsenen haben sprechen hören, nach denen sie aber nicht direkt zu fragen wagen, hatte ich keinerlei Veranlassung, irgendwelche Gören mit nach Hause zu bringen oder zu jemandem mitzugehen und bei einem Glas Saft über Familienangelegenheiten zu plappern. Saft bekam ich auch zu Hause und Kekse ebenso.
    KGB und Sicherheitspolizei waren jedoch überall. Jedermann konnte ein Agent des KGB sein, jedermann konnte uns vorschlagen, im Koffer hierhin und dorthin etwas mitzunehmen. Das konnte der Mann sein, der an der Bushaltestelle in Tartu über das Wetter plauderte. Oder das Mädchen, das sich in Tallinn in einer Bar hinter uns setzte und anfing, Zeitung zu lesen, das Portemonnaie nahm und sich ein Eis holte, das Portemonnaie zurück in die Plastiktüte steckte, ein orangefarben geblümtes Taschentuch hervorholte, sich die Nase schnäuzte, das Tuch zurück in die als Handtasche fungierende, aus einem Turba-Blumenerdesack hergestellte gelb-grüne Plastiktüte schob, von deren Mustern die Farbe schon abgeschabt war, in der sich außer dem Taschentuch auch die Geldbörse befand und die eine der vielen Tausend aus Torfverpackungskunststoff hergestellten Taschen war, von denen die Straßen damals gelb leuchteten, nachdem jemand die Idee

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