Stalins Kühe
endgültig.
Sie kündigte ihre Arbeitsstelle und trat aus der Gewerkschaft aus, und sie musste all ihre Schulzeugnisse und jedes Dokument, das nur irgendwie auf ihre Ausbildung verwies, sowie die Arbeitszeugnisse in Estland zurücklassen, denn über die Bucht durfte sie sie nicht mitnehmen. Sie musste ihre Wohnung aufgeben, denn jemand, der ins Ausland ging, durfte seine Wohnung nicht behalten. Zurück würde sie nicht ohne Weiteres kommen können.
Leb wohl, Heimat, Volk und Sprache. Leb wohl, mein Land.
Alles, was sie mitnahm, passte in eine einzige Tasche.
Der Zoll hatte jedes Foto, jeden Brief, das Tagebuch und eine Postkarte, die sie mitgenommen hatte, genauestens geprüft. Die Zöllner verstanden nicht, wozu sie solchen Plunder in das andere Land mitnehmen musste. Zu allem Überfluss waren darunter auch ein paar Fotos aus einer Sauna, in der sich spärlich bekleidete, feiernde Personen aus ihrer Studienzeit befanden. Die Mitnahme dieses pornografischen Materials war natürlich verboten, aber der Rest war … verdächtig.
Katariina warf beim Zoll alles in den Müll. Sei’s drum. Auch die Äpfel vom heimischen Apfelbaum, die Arnold für sie zum Mitnehmen getrocknet hatte.
Sogar nach Sibirien durfte man mehr Sachen mitnehmen. Die wurden von niemandem kontrolliert.
Außerdem war sie nicht mehr Katariina, sondern Jekaterina Arnoldowna.
Das Schiff hatte im Hafen angelegt, sie verbrachten darin die Nacht und gingen am Morgen ins sowjetische Konsulat, wo sie sofort eine Aufenthaltsgenehmigung für Finnlandbeantragen sollten. Ihren Pass, der schon einmal in Tallinn gegen den Pass eines ins Ausland gehenden Sowjetbürgers ausgetauscht worden war, sollte Katariina noch einmal tauschen, und so füllte sie im Konsulat die notwendigen russischsprachigen Formulare auf Russisch aus, so, wie es sein sollte, und schrieb ihren Vornamen Katariina mit kyrillischen Buchstaben in die dafür vorgesehene Zeile und den Namen ihres Vaters Arnold in eine andere Zeile. Im Konsulat kam man ihr insofern entgegen, als man ihr den Pass für denselben Tag versprach, da das Ehepaar ja nicht in Helsinki, sondern im typischen Finnland wohnte.
Im neuen Pass stand Jekaterina Arnoldowna.
Katariina war in Jekaterina verwandelt worden, weil Katariina auf Russisch Jekaterina heißt, und Arnoldowna war hinzugefügt worden, weil in der russischen Namenspraxis dem Vornamen einer Person der Vatersname folgt.
Die Ingermanländer sind keine Russen, auch wenn sie Russisch sprechen.
Die Ukrainer sind keine Russen, obwohl sie nach Ansicht der Esten wie Russen sprechen und auch ihre Sitten so wie bei den Russen sind.
Die Esten sind keine Russen, und sie lernen nicht einmal Russisch, bevor sie zur Schule kommen. Katariina ist Katariina so wie bisher und so wie auch in den früheren Pässen, nicht Jekaterina Arnoldowna.
Da aber ein erneuter Austausch des Passes Erklärungen und weitere Tage in Helsinki erfordert hätte, setzte sie die Fahrt unter dem Namen Jekaterina Arnoldowna fort. Und Katariina blieb offiziell Jekaterina Arnoldowna, bis sie anstelle ihres sowjetischen Passes einen finnischen bekam. Über den Irrtum wurde niemals gewitzelt, obwohl der Mann im Lauf der Jahre früher oder später fast alles andere aufs Korn nahm.
Der Mann hatte für die neue Wohnung eine ähnliche grüne Couchgarnitur gekauft, wie Katariina sie in ihrer Wohnung in Tallinn gehabt hatte, eine ähnliche dunkle Schrankwand und einen Tisch, all das erwartete Katariina fix und fertig, als sie ihr neues Heim betrat. Sie lobte die gemütliche Einrichtung.
Als der Mann an seine Arbeitsstelle nach Moskau zurückkehrte, blieb Katariina in der typisch finnischen Wohnung mit kalten Füßen allein zurück. Katariina selbst hatte einen warmen Holzfußboden gehabt, dort im fernen Tallinn. Hier dagegen gab es einen Teppichboden aus Kunstfaser mit grauer Oberfläche, die wie gefallener Schnee aussah. Auch draußen stiebte der Schnee. Die Wände waren schneeweiß gestrichen, sogar in der Küche, und von derselben Farbe waren die Außenwände des mehrstöckigen Hauses. Die Lebensmittel waren so teuer, dass Katariina nicht wagte, sie mit dem Geld ihres Mannes zu kaufen. Die Frauen trugen Steppmäntel und Hosen. Das Neonlicht schmerzte in den Augen. Und wo war das Meer? Die Eichen, die Kastanien, die Pappeln?
Da rief die Frau mit der warmdunklen Stimme an und erzählte, dass sie auch Estin sei und Katariinas Telefonnummer von der Polizei bekommen habe. Die Frau mit der warmdunklen
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