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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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als zum Beispiel in Tallinn, denn Haapsalu war wegen seiner Lage an der Küste für Ausländer geschlossen – Mutter und Anna durften sich damals nur deshalb in der Stadt aufhalten, weil die Tante dort wohnte und einen Besuchsantrag gestellt hatte. Anfang der Achtzigerjahre wurde der auch genehmigt, man durfte nur nicht vergessen, sich mit den Pässen bei der Miliz in Haapsalu anzumelden, die für diese Dinge zuständig war.
    Und man musste an nette kleine Geschenke für sie, die große Frau in der graublauen Uniform, denken. Sie hatte eine clownesk scharfe, orangefarbene Dauerwelle. Zu viel Lächeln und zu lautes Lachen. Zu viele Goldzähne, durch die sie lange Geschichten über ihren Enkel erzählte, bis Mutter verstand, worum es ging, und taktvoll-nachdrücklich nickte. Der Enkel brauchte neue Turnschuhe. Jedes Jahr neue, da er ja im Wachstum war. Von Mutters Nicken war die Milizionärin so begeistert, dass sie Anna und die Mutter zu sich zum Essen einlud, was sie nicht ablehnen konnten. Und wie ihre Wohnung aussah! Die Ausstattung der Sanitätsräume war westlicher Provenienz – ganz unerhört und unbegreiflich –, ebenso alle Teppiche, ein Teil davon freilich im Osten handgeknüpft, und dann noch dicker Teppichboden, in dem Annas Füße fast vollständig versanken. Auf dem Esstisch in dem großen Speisesaal türmten sich die Speisen, und dieser Überfluss an Essbarem war für die kleine Anna nahezu furchterregend.
    Der Kaffeetisch ist in Estland allerdings auch bei einem Durchschnittsbürger üppig gedeckt. Im Vergleich zu den typischen Finnen sind sowohl Russen als auch Esten gastfreundlich. Auf einem typisch finnischen Kaffeetisch biegt sich nichts. Mutter erzählte der Großmutter, wie sie im Haus ihrer Schwiegermutter mit einer kleinen Aufschnittgabel Jagd auf ein Stück Hering hatte machen müssen, von denen vier bis fünf Stückchen auf einer Untertasse lagen für einen ganzen Tisch voller Menschen. Mit Wasser angerührtes Weizengebäck ohne ein Gran Fett vertrocknete in der Mitte des leeren Tischs. Einen solchen Tisch für Gäste kannte man jenseits der Grenze nicht, auch wenn die Geschäfte bekanntlich leer waren. Und immer brachte man Blumen mit, Schnittblumen. Am Muttertag starrte Mutter auf die zerdrückte, kümmerliche Muttertagsrose, die Vati für Oma gekauft hatte, und war nicht bereit, sie zu übergeben, obwohl Vati sich bemühte, Mutter zu überreden, diese zu den Aufgaben der Frauen gehörende Sache zu erledigen. Vati stellte den Topf mit der Rose gleich in der Diele von Omas Haus ab und brachte ihn nicht einmal bis in die Stube. So wie er es immer schon gemacht hatte.

DER
SCHLIMMSTE
STREIT zwischen Linda und Mutter entzündet sich an einer Jeansjacke, die Mutter dem Freund meiner Cousine Maria mitbringen sollte. Aber die Koffer, der schwarze und der rote, knackten schon in allen Nähten, die Reißverschlüsse waren bedrohlich überdehnt, als Mutter um drei Uhr nachts versuchte, auch die Jeansjacke noch hineinzustopfen, sie passte nicht hinein, wichtiger waren Großmutters Blutdruckmesser und die unvermeidlichen Mitbringsel, die obligatorischen Handelswaren und so was, den Kaffee kaufen sie meistens erst auf dem Schiff, denn so ist die Tragestrecke kürzer, oder im Valutageschäft in Tallinn. Anna und Mutter müssen Kleidungsstücke für den Verkauf auch anziehen, ihre Kräfte reichen nicht aus, um alles zu schleppen.
    Marias Freund verlässt Maria.
    Das wird Maria niemals verzeihen. Die Tante erzählt allen, das sei Mutters Schuld. Warum hat sie die Jeansjacke nicht mitgebracht! Das war nicht zu viel verlangt. Wenn sie nicht in die Koffer gepasst hat, hätte zum Beispiel Anna sie tragen können, in Annas Tasche hätte sie hineingepasst! Mutter sagt, ihr Kind brauche überhaupt nichts zu tragen.
    Mutter und die Tante streiten die ganze Nacht. Maria weint in ihrem Zimmer, und Anna tut so, als schliefe sie. Der Hund der Tante lernt, jedes Mal zu knurren, wenn die Stimmen lauter werden und das Wort Geld fällt.
    Nach dem Streit fliegt Olja in Haapsalu auf und muss nach Tallinn ziehen. Mutter argwöhnt, dass die Tante ihre Fingerim Spiel hat, so sehr ist Olja der Tante zuwider und so sehr möchte sie es abstellen, dass anderen als ihr Sachen mitgebracht werden.
    Olja wird nicht verurteilt, aber sie muss Haapsalu verlassen. In Tallinn nimmt sie eine Arbeit im Café Komeet auf, und dort treffen wir uns oft geschäftlich. Der Handel geht nach kurzer Pause weiter wie gewohnt … Schneegewaschene

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