Stalins Kühe
man viel bessere viel billiger, schlägt Anna vor, aber Mutter weist den Vorschlag sofort zurück.
Anna ihrerseits trägt nur schwarze Unterwäsche.
Daran hat Mutter nichts auszusetzen. Sie betont das sogar extra, als sie erwähnt, sie habe aufgehört, Schwarz zu tragen, nachdem sie ihre Mutter begraben hatte. Dass daran nichts Erstaunliches sei, dass Anna nur schwarze Unterwäsche trägt. Anna ist ja noch so jung.
Aber Annas Mutter selbst könnte sich das überhaupt nicht vorstellen – sie missbilligt den Gedanken, so wie sie alle Frauen in ihrem Alter in schwarzer Unterwäsche missbilligt. Mutter hat eine Bekannte, die solche Wäsche trägt. Mutter spricht mit Anna darüber und lässt durchblicken, die Freundin sei ein wenig, na, sagen wir, die ewige zweite Frau. Diese ewige zweite Frau besucht Mutter manchmal und beklagt sich darüber, dass kein Mann sie ernst nehme und dass auch der, den sie heiraten sollte, seine Meinung änderte, als diese ewige zweite Frau Gebärmutterhalskrebs bekam, von dem sie allerdings geheilt wurde. Die ewige zweite Frau möchte aus ihrer Ein-Zimmer-Mietwohnung hinaus, macht mit Mutter einen Spaziergang in der Nähe von Mutters und Annas Heim und hält Ausschau nach einem passenden Mann, der ein Eigenheim besitzt. Mutter erzählt Anna, dass an Gebärmutterhalskrebs nachweislich vor allem solche Frauen erkranken, die viele Sexualpartner haben. Je mehr, desto sicherer die Krebserkrankung.
In einer Ecke des Kleiderschranks findet Anna ein rotes Spitzennachthemd und ein ebensolches Negligé. Mutter erzählt, sie habe die Sachen von der ewigen zweiten Frau bekommen, die sich aus Versehen die falsche Größe gekauft habe. Und dass sie die Sachen nicht recht habe zurückweisen können, da sie ein Geschenk wären. Obwohl Mutter selbst so etwas natürlich nicht trägt. Später nimmt Anna die Sachen auf eigene Faust an sich, und Mutter sagt nichts, als sie sie Jahre später in Annas Wäschekorb sieht.
Mutter sagt auch dann nichts, als sie unter Vatis Schmutzwäsche einen schwarzen Büstenhalter findet, als sie seinen Koffer ausräumt, sie legt ihn nur beiseite, aber bei jedem Streit sagt sie später, ja, ja, wir wissen doch Bescheid über den schwarzen Büstenhalter. Der ist ja wirklich ziemlich teuer, stellt Anna fest, nachdem sie ihn an sich genommen hat, bevor Mutter ihn in den Müll werfen kann, sauber und teuer – von Chantelle.
DIESER
FRÜHLING
IST der letzte, den Anna mit Oskari in derselben Schule verbringt. In die neue geht sie in Hosen mit Leopardenmuster, die Vati ihr gekauft hat. Die Brüste der anderen Mädchen stürmen vorüber, und so ist sie wieder einige Kilo geistvoller geworden, weniger leicht einzuholen, immer weniger leicht einzuholen, aber trotzdem muss sie weitermachen. Noch ein paar Kilo und noch ein paar. Wenigstens ein Gramm! Anna nimmt ab und wird kleiner, obwohl sie gleichzeitig älter wird und die Menschen um sie herum in die Breite gehen.
Nachdem Anna sich selbst kleiner gemacht hat, bringt sie den Vater dazu, ihr bei Seppälä und MicMac wer weiß wie kleine Kleidergrößen zu kaufen, sie passen immer. So gut tut es, abzunehmen. So gut und schön ist das. Und Anna braucht sich nicht mehr darum zu kümmern, ob sie in der Abteilung für Männer, Frauen, Kinder oder Jugendliche ist, so wie früher, als sie von ihrem Aussehen her für die Kinder- und Jugendabteilung zu groß war, aber absolut zu jung für die Kollektion der Damenabteilung. Jetzt jedenfalls sitzt bei Anna alles, was sie auch anprobiert. Anna ist frei von allen Beschränkungen! Nur Anna selbst kann Anna definieren! Anna findet, das sei das Allerbeste und Wichtigste am Abnehmen. Da kann sie sich fast wie Gott fühlen!
Außerdem wird Anna auch deswegen wahrgenommen, weil sie prachtvoll ist in der Art, wie es die finnische Boulevardpresse vorgibt, und hautenge Kleider trägt, was in jenem Jahrzehnt noch nicht Teenie-Stil war. Auch in dertypisch finnischen Kleinstadt. Anna ist. Vorhanden. Zum ersten Mal wird in der typisch finnischen Stadt hinter Anna hergepfiffen, weil sie eine ganz knappe leopardengemusterte Hose und ebensolche T-Shirts trägt.
Anna wird nicht deshalb hinterhergepfiffen, weil ihre Mutter mit Akzent spricht. Und auch nicht deswegen, weil sie import – Sachen trägt. Nicht deswegen, weil man annimmt, sie sei eine Prostituierte, und auch nicht deswegen, weil man glaubt, sie habe ausländische Kontakte. Nicht deswegen, weil sie eine Estin, eine Russin, eine Finnin ist, im falschen
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