Stalins Kühe
ruhigsten. Wenn nur Mutter zu Hause ist, zieht Anna in die Küchenetage um, aber niemals in die, in der sich das Kaminzimmer befindet. Mutter mag manchmal dorthin gehen, wenn Vati da ist. Anna tut dann so, als lernte sie für die Prüfungen, und möchte alle Mahlzeiten und den Kaffee in ihr Zimmer haben. Das verlässt sie nur, um in die Schule zu gehen oder in die Geschäfte, die sie abends mit ihrem Vater aufsucht, um die Sachen von unzähligen Kleiderständern anzuprobieren. Mutter stachelt Anna an, mit ihrem Vater zu gehen, und trägt ihr auf, sich von Vati alles bezahlen zu lassen, was immer ihr gefällt. Es habe doch keinen Sinn, wenn Mutter und Anna in Finnland an der Armutsgrenze dahinvegetieren, während Vati jenseits der Grenze herumferkelt und ein Fass aufmacht, oder dass Vatis Russinnen ständig in neuen Klamotten einherstolzieren, während Frau und Tochter wieder … Na, jedenfalls hatten sie ein Recht auf zumindest dasselbe, in diesem Punkt waren sie sich einig, Mutter und Anna, obwohl sie eigentlich nicht in die Situation hätten kommen sollen, so denken zu müssen. Mutter trug zwar nicht die Kleider, die Vati ihr manchmal kaufte. Die endeten im Schrank, aber nicht deshalb, weil sie fein gewesen wären und Mutter sie hätte schonen wollen. Mutter wollte nur einen deutlichen Trennungsstrich zwischen sich und den anderen ziehen. Die kleine Anna durfte natürlich behalten, was Vati ihr kaufte. Das war ja ganz was anderes. Anna ist schließlich Vaters Tochter, nicht seine Frau.
Vatis und Annas gemeinsame Einkaufstouren beginnen, als Anna elf Jahre alt ist und die passende Größe für diesen Zweck hat. Anna ist sich sofort darüber im Klaren, dass Vati deshalb so interessiert ist, Anna zu den stundenlangen Kleiderkäufen mitzunehmen, weil er nicht allein in die Kleiderabteilung gehen, dort herumlaufen und sich wundern mag und die Größen nicht einschätzen und sich nicht vorstellenkann, wie welches Kleidungsstück angezogen aussieht. Die andere hat offenbar genau dieselbe Größe wie Anna, so eine kleine Frau. Und dieser anderen Frau kauft Vati genau dieselben Kleider wie die, die Vati und Anna auf ihren gemeinsamen Einkaufstouren für Anna auswählen, und versteckt sie dann in der Garage. Die für die andere Frau bestimmten Sachen kauft Vati aber nur dann, wenn er allein loszieht, ohne Anna oder die Mutter. Das ist unproblematisch, wenn er mit Annas Hilfe zunächst herausgefunden hat, was er kaufen soll, wo und in welcher Größe.
Mutter ist drauf und dran, die in der Garage versteckten Kleidungsstücke zu zerschnippeln, beherrscht sich dann aber doch. Was würde das nützen? Vati würde nur neue kaufen, dafür ein neues Versteck finden und völlig ahnungslos sein, wenn Mutter etwas fragen würde. Was? Wo? Wann? Welche Bodys? Ich hab keine solchen Bodys gesehen. Eine Verrückte. Total verrückt. Denkt sich alles mögliche verrückte Zeug aus. Anna, sieh dir mal an, wie durchgedreht deine Mutter ist.
Anna hat niemals so teure und feine Kleider bekommen. Und nicht so viele. Hautenge Bodys mit Leopardenmuster und dazu passende Blusen kosten mehr als Annas Kleider aus dem Vorjahr zusammengenommen. Vati findet, es sei Unsinn, für Anna in der Kinderabteilung Kleider zu kaufen, wenn es auch anderswo die passenden Größen für Anna gibt. Wenn sie Anna nur besser gefallen. Und natürlich gefallen sie Anna.
Vati versucht, Anna für das Make-up von Lumene zu erwärmen, aber Anna macht sich nichts daraus und ist nicht bereit, sich das Regal mit Lumene-Produkten auch nur anzusehen. Soll doch die andere Frau ohne Lumene auskommen. Soll sie doch das Make-up nehmen, bei dem Anna geruht, stehen zu bleiben. Anna ist gnädig, nachdem sie ein Make-up nach ihrem Geschmack gefunden hat – Anna lässt Vati bezahlen, geht selbst schon in eine andere Abteilungund gibt Vati damit die Möglichkeit, von dem von Anna ausgewählten Puder und der getönten Creme jeweils zwei Packungen zu kaufen.
Auf Vatis Einkaufsliste vom Dezember findet Mutter das Wort Shampoo und dann eine Flasche des für die Frau passenden Shampoos in Vatis Koffer. Mutter gießt das Shampoo aus und füllt stattdessen Kleister in die Flasche.
MUTTER
BENUTZT
IMMER möglichst hässliche und verschossene Unterwäsche. Getragene kauft sie nicht, die findet sie ekelhaft, aber ansonsten wählt sie die am schlechtesten sitzende aus dem Korb mit den Sonderangeboten, am liebsten solche mit einem Fabrikationsfehler. Mutter sagt, sie spare. Auf dem Flohmarkt bekomme
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