Stalins Kühe
für Anna mit, angefangen von Malibu bis hin zu den Gemälden, die er am Arbat gekauft hat. Sie kommen in Annas Zimmer, in dem Anna sich Annas Welt erschafft. An den Wänden möchte Anna Tapeten mit vielen rosa Rosen haben, die Fußbodenleisten schmückt sie mit goldenem Band und macht daraus auch eine Bordüre. Anna füllt das Zimmer mit Russland-Souvenirs, mit geblümten Tüchern und Geschirr, mit Puppen in Nationaltracht und Ikonen. Als Vorhänge roter Samt an einer Goldstange. Stores! Und eine goldene Klinke. Ein Samowar. Waschbleuel, eingeschmuggelt vom Land, von der Großmutter. Ein großer Schlüssel von Tallinn aus dem Uku – Laden mit der Aufschrift Anno Domini 1154. Versteckte Kopien von Vatis Einkaufslisten.
Und Mutter geht nicht immer ans Telefon, wenn Vati von dort irgendwo aus der Ferne anruft, obwohl es entsetzlich schwierig ist, ein Gespräch nach Finnland zu bekommen, und auch dann kann es passieren, dass man den ganzen Abend darauf warten muss. Oft möchte Mutter nicht mitVati sprechen, sondern sagt, Anna solle ans Telefon gehen. Falls Vater dran ist, soll Anna sagen, dass Mutter in der Stadt sei.
IM
PARFUMALTER
VERSTECKT Anna sich nicht mehr, wenn Vati nach langer Zeit nach Finnland kommt, so wie früher, und wundert sich nicht, wer der in der Küche sitzende fremde Mann sein mag. In diesem Alter weiß Anna schon, wer der Mann ist, denkt sich aber immer etwas aus, was Mutter tun muss, oder sorgt für irgendeinen Vorfall, wenn Vati versucht, Mutter zu umarmen. Denn Annas Mutter umarmt nur Anna und keine fremden Männer, auch wenn Anna weiß, wer der fremde Mann ist.
Anna stolpert auf der Treppe, wenn Vati Mutter auf die Wange küsst.
Anna wacht von ihrem Weinen und Schreien auf, wenn aus dem Schlafzimmer der Eltern nachts das Rascheln der Decke zu hören ist, und muss neben Mutter schlafen. Und auch in der nächsten Nacht. Und in der darauffolgenden. Und dann muss Vati auch schon wieder fahren.
Anna bekommt Migräne, wenn Vati und Mutter zu lange nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Mutters ein wenig zu weiches Lachen bewirkt, dass der Schmerz noch schlimmer in ihrem Kopf wütet. Au! Mutter muss kommen und sie pflegen, und natürlich kommt Mutter. Mutter! Es tut so weh!
EINMAL
SITZT
ANNA in Moskau und wartet darauf, dass sie in die Stadt gehen. Da sieht sie, wie eine Frau in kurzem Lederrock und Spitzenstrümpfen der Putzfrau Geld und einen kleinen Zettel gibt, und dieser kleine Zettel gleitet dann in die Tasche von Vatis Jacke, als die Putzfrau vorbeigeht. Abends will Mutter etwas aus Vatis Taschen holen und findet den Zettel. Anna wird niemals erzählen, dass aufgrund dessen, was sie gesehen hat, Vati sehr wohl die Wahrheit gesagt haben kann, als er Mutter erklärte, dass er von dem Zettel und der Telefonnummer darauf überhaupt nichts wisse. Mutter glaubt Vati natürlich nicht. Anna nickt, als Mutter ihr davon erzählt – Vati lügt ganz bestimmt. Und ein solcher Vorgang wiederholt sich in unterschiedlichen Varianten mehrmals. Anna ist immer derselben Meinung wie Mutter. Denn Vati ist derjenige, der lügt.
WENN
VATI
IN Russland ist, ist es in der typisch finnischen neuen Wohnung still und kalt. Die Fußböden sind mit Parkett und einem glatten Kunstfaserteppich belegt, der keine Falten wirft. Nach der Schule kommt Anna nach Hause und fängt sofort an zu lesen, sie isst und liest weiter. Mutter arbeitet in der unteren Etage. Anna liest bis in die Nacht, auch in der Nacht, und schläft über dem Buch oder während des Films ein. Sie macht sorgfältig ihre Hausaufgaben und ist ein schlaues Köpfchen, sie bekommt für jeden Aufsatz die volle Punktzahl, bei jedem Thema. Nach einem vollkommeneren Objekt muss die Prinzessinnenkrankheit lange suchen.
Nie ist es ihr warm genug. Immer zieht es von irgendwoher, und wenn sie noch so dicke Wollsocken anzieht.
Im Sommer werden draußen vor Annas Zimmer die Balkons und Höfe mit Wurstduft vollgegrillt, und es riecht nach Sommersauna und Badequasten aus Birkenzweigen. Vom Seeufer klingt Kindergeschrei herüber. Motorboote. Finnland ist das Land der tausend Seen . Anna zieht die Vorhänge nicht auf, und wenn Mutter noch so sehr versucht, sie zu überreden, und davon spricht, wie die Bakterien im Licht sterben und man deshalb manchmal Licht hereinlassen müsse. Anna möchte das nicht. Anna mag dieses Licht nicht. Es fällt durch die hohen, schlanken Kiefern und die jungen Moorbirken. Anna mag die Kiefern überhaupt nicht. Und auch nicht das durch sie
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