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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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nicht immer gut, Vati zu Hause allein zu lassen, man konnte nie wissen, auf was für Ideen er kam, wenn er allein war und trank. Einmal hat er im Keller ein Lagerfeuer angezündet, und als Mutter vom Einkaufenzurückkam, war das ganze Haus voll Rauch. Dann wieder vergaß er ein Schmetterlingshündchen draußen im Frost, als es bei ihnen in Pflege war, und dasselbe machte er auch mit seinem eigenen Hund, der ebenso klein war und leicht fror, aber zum Glück war Anna beide Male nachts aufgewacht, hatte bemerkt, dass der schlafende Hund am Fußende des Bettes fehlte, und ihn ins Haus geholt.
    Vati sagt nichts darüber, warum er seine Arbeitsstelle so plötzlich verlassen hat. Er gibt Anna Essensgeld und findet in ihrer Abwesenheit jede Flasche, die sie vor ihm versteckt hat. Anna bemüht sich, erfinderisch zu sein, versteckt sie an ganz komischen Stellen, in alten Spielzeugkisten, in Kissen, in Mehltüten, in den leeren Räumen unter den Schubfächern, aber Vati findet jede Flasche.
    Vati kehrt nicht mehr zurück auf seine Baustelle, von der er fortgegangen ist. Anna erfährt niemals, warum. Darüber wird nicht gesprochen, und Anna fragt auch nicht, denn das ist bei ihnen nicht üblich. Mutter versucht zwar manchmal, Anna nach irgendwelchen Dingen zu fragen, aber Anna antwortet niemals. Anna selbst ist kein Fragetyp, Anna beobachtet nur und hört zu. Mutter findet es schwierig, dass Anna nicht fragt, aber Anna hat nicht vor, ihre Gewohnheiten zu ändern. Auch das ist ein Beschluss. Durch das Fragen würde Anna zu erkennen geben, dass sie etwas wissen möchte, und durch solche Dinge möchte sie sich nicht verraten. Es interessiert Anna nicht. So ist es nun mal, und das müssen alle glauben. Mit ihrem scheinbaren Desinteresse erhebt Anna sich über alles andere und beobachtet von ihrer kühlen Erhabenheit herab die Erdoberfläche, die vor einer Neugier wimmelt, zu der Anna sich nicht herablässt. Das Fragen würde Anna nackter machen, und nackt wäre Anna verletzlich, ausgeliefert – das ist doch das, was jeder Mensch möchte, Schaden zufügen, dessen ist Anna sich sicher, Macht erlangen, die Oberhand gewinnen, von dem anderen irgendwie profitieren. Deshalb beobachtet Anna nur, sie nimmt nicht teil, fragt nicht. So ist Anna in Sicherheit.
    Anna fragt also nicht, was eigentlich passiert ist mit Vatis Arbeitskollegen, der sich von seiner finnischen Frau getrennt, die Russin Anastasia geheiratet hat und in die Wohnung seiner neuen Frau gezogen ist, fort von den anderen Finnen. Vati und der Mann fuhren abwechselnd aus dem typischen Finnland an irgendeinen Ort, von wo sie nach Moskau flogen. Vati sah den Mann wegen seines neuen Wohnorts immer seltener und seltener, und dann kam schon die Nachricht, dass der Mann in Moskau aus der obersten Etage des Hotels International gefallen und tot war. Niemand hatte gesehen, wie das geschah, niemand konnte etwas sagen, es geschah einfach.
    Manchmal, wenn Vati betrunken genug ist und auf dem Ledersofa des Kaminzimmers sitzt, kann es passieren, dass er etwas über diesen Mann sagt. In der oberen Etage spitzt Anna die Ohren. Vati spricht ziemlich laut mit seinen unsichtbaren Gesprächspartnern, aber niemals etwas so Vollständiges, dass Annas Wissensdurst befriedigt wäre. Vatis trunkene Gespräche mit den Menschen, die Anna und Mutter nicht sehen, werden von Jahr zu Jahr immer häufiger. Vati schläft immer öfter auf dem Sofa des Kaminzimmers im Erdgeschoss und immer seltener im Schlafzimmer der oberen Etage. Mit sichtbaren Menschen spricht er immer weniger.
    Vati reist nie wieder nach Moskau. Und auch nicht nach Petersburg. Er fährt überall sonst hin, aber nie wieder nach Russland, auch nicht im Urlaub, obwohl der Rubel die einzige Währung ist, die er in betrunkenem Zustand akzeptiert und von der er spricht, und obwohl er die Sauftouren nach Tallinn schätzt. Da Vati jetzt innerhalb der Grenzen Finnlands eine Reisetätigkeit ausübt, muss er die Sauftouren eigens organisieren. Im Sommer lässt er Mutter und Anna nicht allein nach Estland, denn er will mitkommen,um zu saufen, lässt Mutter alles Mögliche und Unmögliche erledigen und will nur daliegen und so viel Wodka in sich hineinschütten, wie hineinpasst, denn am Geld hängt das in Estland immer noch nicht, Schnaps ist weiterhin lächerlich billig und das Bier von Saku gut und stark.
    Mutter meint, es sei das Beste, das notwendige Bier und den Schnaps in Tallinn einzukaufen, alles ins Auto zu packen und dann zum Ziel zu fahren.

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