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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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nicht.
    Angeblich muss ich das wissen.
    Aber wo ich das doch noch nie gefragt worden bin.
    Das kann man ja wohl trotzdem wissen!
    Ich kann es nicht.
    Ich presste mir die Hände auf die Ohren. Ich wollte keine einzige Frage mehr hören. Ich konnte keine einzige beantworten. Zwar verstand ich irgendwie, dass ich das können müsste. Sonst hätte Hukka nicht so ungezwungen gefragt. Ich hätte es können müssen. Ich konnte es nicht. Wer ich? Dieser Körper? Was hatte er mit mir zu tun oder ich mit ihm? Warum wurden mir solche Fragen gestellt? Was hätte meine Antwort für eine Bedeutung gehabt? Oder was hätte es für eine Bedeutung gehabt, wenn ich sowieso nicht antworten konnte?
    Hukka fragte sein Leichtgewicht, was es sich von Hukka wünschte.
    Sehr freundlich, dass Hukka sich die Mühe machte, eine so leichte Frau so gründlich zu befragen. Wahrscheinlich sollte ich mich geschmeichelt fühlen. Aber ich geriet in Panik. Die billige Biene hätte wissen müssen, wie man bei solchen Dingen verfährt. Natürlich! Ich hätte es wissen müssen!

    In dem blauen Licht öffneten und schlossen sich Hukkas Hände langsam und gleichmäßig wie ein Atmen.
    Möchtest du mich schlagen?
    Das möchte Hukka angeblich nicht.
    Das konnte ich nicht recht glauben. Ich hätte Hukka das durchaus erlauben können. Wo ich diese wichtigen Fragen nun einmal nicht beantworten konnte. Das wäre ganz richtig gewesen. Diese Fäuste, die sich kraftlos öffneten und schlossen, waren schlimmer, weil sie mich der Antwort nicht enthoben, sondern die Fragen schwer und erstickend um uns schwappen ließen. In einer Weise, dass sie mir noch bevorstehen würden, dass ich ihnen nicht entkommen würde, sie würden mich doch einholen, sie würden mich nicht loslassen, solange ich nicht antworten konnte, und wenn ich mich noch so sehr bemühen würde, sie abzuschütteln.
    Hukka öffnete also die Fäuste und atmete dabei tief und langsam und sagte, wenn ich auch noch so sehr darum flehen würde, in der Ecke bei den Müllkästen plattgemacht zu werden, würde Hukka das nicht tun. Selbst wenn ich ausdrücklich darum bitten würde. Dazu sei Hukka nicht imstande. Und dafür verachtete ich Hukka fast.

1946
    Stalin beschließt, seinen Glanz auch auf die Bewohner der abgelegenen Wälder fallen zu lassen, ein gnädiger VATER zu sein, sich zu erbarmen und für die ehemaligen Mitglieder des Schutzkorps eine Amnestie zu verkünden, allerdings für diejenigen, die rechtzeitig ausgeschieden waren. Natürlich gibt es kaum freiwillig Ausgeschiedene, und auch Arnold wäre nicht ohne den Streit ausgeschieden. Arnold war einfach der Meinung gewesen, dass am vorigen Sonntag der Psalm an einer falschen Stelle begonnen worden war, nach Ansicht des Kommandeurs aber an der richtigen.
    Nach Verkündung der Amnestie beschließt Arnold, das Risiko einzugehen, und kommt endgültig aus dem Wald heraus.
    Er wird nach Tallinn zum Verhör gebracht.
    Was hast du während der deutschen Besatzung gemacht, wo warst du? In der deutschen Armee?
    Nein, nein, ich war im Wald.
    Wo warst du, als die Russen kamen?
    Im Wald.
    Warum?
    Ich wusste nicht, dass die Macht gewechselt hatte.
    Warst du beim Schutzkorps?
    Nein, ich bin ausgeschieden.
    Vor dem Stichtag für die Amnestie?
    Ja, davor.
    Arnold hat Glück, diesmal gilt die Amnestie, und Arnold wird dafür, dass er im Großen Vaterländischen Krieg nichtmitgekämpft hat, mit nur einigen Jahren Abkommandierung in den Hafen von Rohuküla bestraft.
    Sofia macht sich daran, Schnaps zu brennen, und bringt dem Betriebsarzt des Hafens von Rohuküla außer Schnaps auch Butter und einen Schweineschinken. Als Gegenleistung rät ihr der Arzt, wie Arnold es anstellen kann, sich krankschreiben zu lassen. Ohne Arnolds Arm schwerwiegend zu verletzen, lässt sich erreichen, dass er schlimm genug aussieht, indem man ein Handtuch darumbindet und ihn so lange mit einem Hammer bearbeitet, bis er anschwillt. Und tatsächlich schwillt er überzeugend an, der Arzt schreibt Arnold für ein paar Tage krank, sodass er nach Hause fahren und bei den Arbeiten zur Erfüllung des Solls helfen kann, denn die müssen gemacht werden, auch wenn es im Haus keine Arbeitskräfte gibt. Bei Bedarf schwillt Arnolds Arm wieder an.

IN
DEN
FOLGENDEN Wochen sprachen wir miteinander. Ich sagte Hukka, dass ich, seitdem ich täglich achtzig Milligramm Seronil nahm, keinerlei Verlangen nach sexuellem Umgang gehabt hätte, nicht einmal mit mir selbst, obwohl Hukka sich das gern ansah. Ich sagte Hukka,

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