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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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beiseitegeschoben, damit Hukka die Nase an meinen Nacken schmiegen konnte.
    Ich hatte um eine Kleidergröße abgenommen. Mich beschäftigte nichts anderes als mein Gewicht, und so sollte es sein.
    Die Kleine Katze war davongetrippelt.

HUKKA
VERLANGTE
NICHT von mir, die Medikamente abzusetzen, und schlug mir nicht einmal vor, das Präparat zu wechseln, und das wollte ich auch nicht, sie nicht absetzen und auch nicht wechseln. Ich wagte es nicht. Von den Psychopharmaka nahm ich die Dosis, die für Bulimiker vorgesehen war, aber das wirkte sich kaum auf mein Essen aus. Wohl aber allmählich auf meine Essgier und meine Essgewohnheiten. Neuerdings hatte ich die seltsamsten Gelüste, wie ich sie bisher nicht gekannt hatte. Der Heißhunger auf Süßes legte sich. Meine Nase saugte gierig die Düfte von Nudelauflauf und Buletten ein, verleitete mich dazu, Tortellini zu kaufen und Kartoffelsalat, Hackfleischsoße, Bauernfrühstück, Hamburger und Fleischklöße zu machen, obwohl ich Vegetarierin war. Jetzt verlangte es mich nach warmen Mahlzeiten, völlig ungewohnt für meinen Magen. Das, was jetzt kam, waren nicht meine alten Bekannten, die Sucht, das Verlangen oder die Versuchung. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, was unter meinem Nabel eigentlich passierte. Was dort eigentlich rumorte und die Zähne zeigte, seltsam und in erstaunlicher Weise zuckte, und warum aus meinem Magen ein knurrender Hund geworden war.
    Plötzlich war ich nicht mehr bereit, mitten in der Nacht mit dem Taxi ans andere Ende von Helsinki in den 24-Stunden-Select zu fahren, um Schokolade zu kaufen, wenn es in dem einzigen nachts offenen Kiosk von Kallio keine ordentlichen Tafeln gab. Plötzlich brauchte ich mit solchen Gedanken nicht einmal mehr zu kämpfen. Und das warauch der Sinn der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, aber sie lehrten mich nicht, mich anders zu verhalten, da ich es gewohnt war und gelernt hatte, auf alles durch mein Essverhalten zu reagieren.
    Denn ich hatte kein Herz. Ich hatte Essen.
    Ich hatte keine Liebe. Ich hatte Essen.
    Ich hatte keine Angst, nur Erstarrung und Essen.
    Ich hatte keinen Zorn, nur einen Magen, der sich bis zum Rand füllte.
    Ich hatte keine erkennbare Schande gehabt, obwohl ich nichts anderes als Schande gehabt hatte, und die hatte ich wegzuessen versucht.
    Ich hatte keine Seele. Ich hatte Essen.
    Ich hatte keinen Körper.
    Ich hatte nicht einmal mehr die Kleine Katze.
    Dieser Körper war das Heim meines Herrn. Mein Körper konnte nicht mein Heim sein, denn ich hatte keine Seele, die ein Heim aus Fleisch gebraucht hätte. Meinen Körper bewohnte jemand anders, und über dessen Reinigung und Form entschied mein Herr, der ihm ein perfektes Aussehen gegeben hatte. Ich selbst hätte das nicht zustande gebracht.
    Mein Körper wusste nicht, ob er Hunger oder Durst hatte, ob er müde war oder ob er nach einer Strickjacke unter dem Mantel verlangte. Mein Herr wusste das für mich.
    Mein Körper hatte keine Wünsche. Mein Herr hatte welche. Aber mein Herr brauchte zur Befriedigung seiner Wünsche nichts anderes als Essen.
    Andere Menschen störten ihn, andere Körper, die Seelen und Herzen der anderen, die mich umflatterten und sich bemühten, Anklang zu finden.
    Alles, was meinen Herrn störte, musste beseitigt werden.
    Für die Kleine Katze war es Zeit zu sterben.

ICH
HALTE
DAS so lange aus, wie ich es aushalte.
    Wirst du mich vorher warnen?, fragte ich.
    Nein, sagte er und legte auf.
    Ich ging in die Küche. Schaltete den Ofen ein. Und begann, Teig anzurühren.
    Ich machte Piroggen und Pasteten, und sie wurden ausgezeichnet. Das Backen duftete, die Wärme duftete und tat meinen kalten Gliedern wohl, ich maß mit großer Energie die Deziliter und Esslöffel ab und berechnete die Backzeiten; Zahlen, die Mengen entsprachen, Mengen, die Zahlen entsprachen, alles war in Ordnung, drei Deziliter Mehl waren anderthalb Glas Mehl, hundert Gramm Butter ließen sich bei der Hundert-Gramm-Markierung abschneiden, alles war also in Ordnung, nach dem letzten Blech ließ ich die Ofenklappe offen, damit die Wärme ins Zimmer kam, es war so kalt, entsetzlich kalt. Ich musste mich vor den Ofen setzen. Ich schlief davon ein, dass alles in meinem Bauch war. Ich hielt ihn wie ein Kind. Nachts erwachte ich von meinem hängenden Bauch und seiner Schwere, und im Badezimmer ließ ich ihn in die Toilette laufen, die Preiselbeeren und Johannisbeeren des Kuchens hatten alles rot gefärbt, es sah so aus, als wäre nur Blut aus meinem Inneren

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