Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
Vom Netzwerk:
dass das nicht Hukkas Schuld sei, dass es dabei nichts gebe, worauf Hukka Einfluss nehmen könnte. Ich sagte, ich könne es nicht erklären. Ich sagte eine Menge Dinge, und je mehr ich sagte, desto mehr klang es nach Rechtfertigung, in einem Ausmaß, dass ich panisch wurde, weil das, was ich sagte, die Wahrheit war. Glaubte Hukka mir nicht? Hukka sagte, kein Psychopharmakon könne so total wirken, und Hukka wusste so einiges über alle möglichen Pillen. Aber es stimmte doch, was ich sagte! Vielleicht wirken die Dinger im Gehirn auf dieselben Stellen, wo Hunger und Begehren reguliert werden. Wahrscheinlich liegt es daran. Glaub mir doch. Nein, meinem Essarzt hab ich nichts davon erzählt. Sollte ich das tun? Ja, bestimmt. Warum ich mit meinem Arzt nicht darüber gesprochen habe? Ich weiß es nicht. Und eine so hohe Dosierung hatte ich bisher noch nicht bekommen. Erst jetzt. Und nun wirkt sich das so aus.
    Viele Psychopharmaka bewirken, dass das Bett nur zum Schlafen genutzt wird. Dennoch ist das genau die Nebenwirkung, nach denen die Ärzte nie fragen, obwohl alle anderen sorgfältig durchgesprochen werden, Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwitzen. Vielleicht ist das nicht wichtig. Von meinen eigenen Wünschen hatte ich ohnehin kaumetwas gewusst, und mit den Medikamenten verschwand jegliches Verlangen. Wie hätte ich da die Dinge lernen sollen, die mein Herr verdrängt oder in etwas anderes verwandelt hatte? Warum fanden die Ärzte es nicht wichtig, obwohl es nach Hukkas Ansicht das Wichtigste war?
    Was war da zu tun? Hukka sagte, ich machte ganz den Eindruck, als wollte ich nichts daran ändern. Aber ich wollte es doch. Und ich hatte auch noch andere Nebenwirkungen. Von Seronil und Seromex bekam ich zum Beispiel einen Hautausschlag. Auf dem Beipackzettel wird der Patient aufgefordert, sofort seinen Arzt zu kontaktieren, falls sich Hautveränderungen zeigen. Aber ich sagte auch davon nichts. Zeigte das nicht, dass ich nicht nur meine Lustlosigkeit unerwähnt gelassen hatte, wie Hukka anscheinend glaubte?
    Das fand ich nicht nett. Überhaupt nicht. Deshalb habe ich dann einmal geschauspielert. Na gut, auch ein zweites Mal. Weil es leichter war, den Körper sich so verhalten und bewegen zu lassen, wie er es früher getan hatte, auch wenn da gar keine Empfindungen waren. Denn ich verstand das selbst auch nicht. Hukka fragte sofort, ob es nun doch nicht an den Medikamenten liege. Aber es lag daran. Das schrie ich fast. Hukka verstand nicht, warum ich nicht sagen konnte, dass ich nicht wollte. Aber wer wäre ich dann gewesen?
    Ich wäre jemand gewesen, der nicht einmal mehr wollte. Jemand, der nicht essen konnte, wie Menschen essen, so jemand war ich schon seit mehr als zehn Jahren. Jemand, der keine richtige Finnin war und doch in Finnland wohnte. Jemand, der nicht sagen konnte, was er empfindet.
    Hör auf mit der Fragerei! Hör auf! Ich weiß es nicht! Glaub mir doch endlich! Es gibt Menschen, die wissen, was sie empfinden, und Menschen, die es nicht wissen. So einfach ist das. Und ich gehöre zufällig zu der zweiten Gruppe. Oder eigentlich weiß ich jetzt, da ich nicht mal mehr mit Hukka schlafen möchte, eine Sache mehr, die ich nicht möchte. Ich habe schon eine Liste dieser Dinge erstellt. Habe auf rotes Papier die geschrieben, die ich möchte, und auf blaues die anderen, die ich nicht möchte. Oder von denen ich zumindest glaube, dass ich sie möchte oder nicht möchte. Ich habe das aufgeschrieben, was ich vermute.
    Einmal zeigte ich Hukka die Listen, aber dann kamen wieder die Fragen, wie ich dies und jenes empfinde, und ich konnte sie nicht beantworten, sondern ging Kaffee kochen, und dabei knickte der eine Rand der Filtertüte zweifach ein, sodass das Kaffeepulver darüber hinweg in den Kaffee lief und in meiner Tasse kleine Kaffeefische schwammen, die zwischen den Zähnen hängen blieben und einen schneidenden Schmerz verursachten, sodass ich weinen musste, weil es so wehtat. Die Fragen bewirkten nur, dass ich mich verloren fühlte. Sie bewirkten, dass die Kleine Katze verloren ging. So war ich halt.
    Nach diesen Fragen legte Hukka sich zum Schlafen auf das Sofa.
    Ich verschob die Matratze so, dass ich, das Ohr am Boden der Galerie, Hukkas Atem auf dem Sofa hören konnte, das unter der Galerie stand. Hukka rauchte. Das Klicken des Feuerzeugs. Hukka schüttelte die Decke. Aber ich hatte nun mal keine Lust. Sonst schliefen wir nebeneinander mit ineinander verschränkten Beinen, und ich hatte die Haare

Weitere Kostenlose Bücher