S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
einem aufziehenden Unwetter Ausschau zu halten, konnte aber keinen Hinweis darauf entdecken. Noch sah alles nach einem ganz normalen Tagesanbruch aus.
Misstrauisch und auf alles gefasst ging er weiter.
David war erst vor drei Wochen zurückgekehrt, doch er hatte die Wälder rund um die Sperrzone schon bei vielen früheren Streifzügen erkundet. Das Schicksal hatte ihn zu einem erfahrenen Weidmann gemacht. Sein Gang besaß etwas Geducktes, Lauerndes, als ob er bereit wäre, sich von einer Sekunde zur anderen hinter der nächsten Baumwurzel in Deckung zu werfen. Je länger er ausschritt, desto elastischer wurden seine Bewegungen. In ihm steckte die Kraft der Jugend, doch seine Augen blickten voller Wissen und Erfahrung in die vor ihm liegende Welt.
Sein achtzehnter Geburtstag lag erst wenige Monate zurück, doch er wirkte wesentlich älter. Auch eine Nacht in einem warmen Bett und ein anständiges Frühstück hätten daran nichts ändern können. Die Ereignisse in der Stillen Stadt hatten ihm die Jugend unwiederbringlich geraubt. Zu einer Zeit, da Gleichaltrige ihr Leben dem Snowboard oder der E-Gitarre widmeten, verfeinerte er lieber seine Fähigkeiten im Umgang mit der Waffe und erlernte neue Überlebenstaktiken.
Nicht dass er deshalb einen Mangel empfand. Ganz im Gegenteil. Sein altes Leben mit all den kleinlichen Nöten und Wünschen war mitsamt seiner Kleidung in der Stillen Stadt abhanden gekommen. David war nun ein anderer. Einer, dessen Leben dem Kampf gewidmet war. Dem Kampf gegen jene, die seine Eltern und Hunderte andere auf dem Gewissen hatten.
Die aufgehende Sonne begann die Luft zu erwärmen. David lockerte die eng geschnürte Kapuze und marschierte weiter westwärts. Zwischen den schwach belaubten Baumkronen schimmerte ein hellblauer Himmel hindurch, doch die Vögel versteckten sich weiter in ihren Nestern. Nicht einmal die sonst allgegenwärtigen Insekten ließen sich blicken.
Gegen halb zehn erreichte er eine baumlose Anhöhe, von der er freie Sicht auf die Auen und Seitenarme des nahen Pripat hatte. Der stramme Fußmarsch hatte seinen Puls beschleunigt, ihn aber kaum außer Atem gebracht. Ein Blick auf die Uhr entlockte ihm ein Lächeln. Er lag genau in der Zeit. Zufrieden öffnete er den Reißverschluss der Tarnjacke, holte den um seinen Hals hängenden Feldstecher hervor und ließ sich auf die moosfreie Stelle eines grauen Findlings nieder.
Nördlich seiner Position verlief - etwa drei Kilometer entfernt - eine kaum befestigte, nur mit dem Geländewagen befahrbare Straße. Es dauerte einige Minuten, bis auf der Holperstrecke wie erwartet der dunkle Schatten eines Fahrzeugs auftauchte.
David hob den Feldstecher an die Augen und machte einen Landrover aus, der sich mühsam über die teils gefrorene, teils matschige Piste quälte. Der Karosserie nach zu urteilen handelte es sich um ein Modell Zwei, also um eine mindestens dreißig Jahre alte Rostlaube, wie sie nur von absoluten Liebhabern oder völlig durchgeknallten Spinnern gefahren wurde. Oder von Schlaubergern, die glaubten, damit über ihre wahren Ressourcen hinwegtäuschen zu können.
David entledigte sich seiner Handschuhe und förderte aus den Untiefen des Anoraks ein Handy zu Tage. Es war ausgeschaltet, denn es stand ganz außer Frage, dass diejenigen, die seine Nummer kannten, es im betriebsbereiten Zustand orten konnten. Darum hielt er seine Gespräche stets so kurz wie möglich und telefonierte grundsätzlich nie von seinem Unterschlupf aus.
Nach Eingabe seiner Kennzahl erschien die Meldung Kein Empfang auf dem Display. David runzelte die Stirn, denn er hatte diese Anhöhe schon zu früheren Zeiten für ein Telefonat benutzt. Irgendetwas störte heute die Frequenzen.
Es überraschte ihn nicht, als er kurz darauf ein Prickeln im Hinterkopf spürte. Instinktiv blickte er nach Westen, in Richtung des Kraftwerks. Die Schornsteine und Kühltürme waren zwar nicht zu sehen, trotzdem wusste er, wo es lag.
Ziemlich genau an der Stelle, über der sich gerade eine rotgolden flirrende Wolkenfront zusammen braute. Wodurch sie entstand, war nicht zu erkennen. Luftströmungen konnten nicht die Ursache sein, es wehte nicht einmal eine laue Brise. Das Phänomen existierte einfach, ganz so, als würde es durch einen Riss im ansonsten strahlend blauen Himmel einfallen und explosionsartig anwachsen.
Am ehesten glich es noch einem Polarlicht, als es sich über dem Boden zu wölben und in allen Variationen des Farbspektrums zu schillern begann. Ein
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