S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
konnten nicht so schnell folgen. Marinin sah, wie sie vorwärts stolperten, während der Junge die Arme schützend über den Kopf hob, als befürchtete er, von etwas getroffen zu werden.
Es klickte. Einer der Pfleger blieb stehen und blickte nach unten. Seine Arme schienen länger zu werden, sein Bauch blähte sich auf. Er schrie. Der zweite Pfleger fiel zu Boden. Sein Gesicht wölbte sich hervor, die Haut platzte auf.
Marinin spürte, wie etwas an ihm zog und drückte. Er stolperte zurück, unfähig den Blick von den beiden Männern zu nehmen, die vor ihm auseinander gerissen wurden. Die wenigen Sekunden ihres Todeskampfes dehnten sich zur Ewigkeit.
Der Druck verging, die Schreie verstummten. David stand auf und sah zu Marinin herüber.
Bitte folge mir nicht, stand in seinem Blick, dann drehte er sich um und verschwand zwischen den Bäumen.
Marinin atmete tief durch. Mit zitternden Knien ging er auf die beiden zerfetzten Körper zu, die vor ihm im blutbespritzten Gras lagen. Sie sahen aus, als wären sie von Riesen entzwei gerissen worden. Weder Metallfragmente, noch andere Geschosse verrieten den Grund ihres Todes.
Eine Mine, dachte Marinin. Jemand hat das Gebiet vermint.
Aber es gab weder eine Explosion noch liegt Pulvergeruch in der Luft.
Einen Augenblick überlegte er, ob die Armee vielleicht dafür verantwortlich sein könnte, doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Solche Waffen besaßen weder die Ukrainer noch die Russen.
Aber wer dann?
Vor seinem geistigen Auge sah er David, der Sekunden vor der Explosion einen Haken geschlagen und die Hände über den Kopf gerissen hatte. Wieso hatte er gewusst, welche Gefahr drohte?
Marinin blickte in den Wald, in dem David verschwunden war. Die verwachsenen, halb kahlen Bäume bildeten eine schweigende Wand, die zwischen ihm und der Antwort auf seine Fragen stand.
Was ist los mit dir, David?, fragte er sich. Was ist mit dir passiert?
TEIL II
DAVID
II.
IN DEN WÄLDERN VON TSCHERNOBYL,
NORDWESTLICH DES KRAFTWERKS 06. APRIL 2006, 07:00 Uhr MORGENS
Laut Kalender herrschte längst Frühling, doch in den Nächten schlug der Winter noch immer seine eisigen Krallen in die Weiten der Ukraine. Auch im Laufe der letzten Nacht waren die Temperaturen unter die Frostgrenze gefallen. Raureif überzog die Bäume, an deren Ästen bereits die ersten Knospen sprossen. Auf der Regentonne, einem ehemaligen Behälter für Kunstdünger, schwamm eine fingerdicke Eisscholle.
Als David vor die Hütte trat, kondensierte sein Atem sofort zu weißgrauen Schleiern, die nur langsam zerfaserten.
Um der Kälte zu trotzen trug er lange Unterwäsche unter den Flecktarnhosen, einen olivgrünen Pullover sowie einen grauen Anorak mit fest verschnürter Kapuze. Obwohl nur kleine Hautpartien rund um Augen, Nase und Mund frei lagen, stach ihm die Kälte unangenehm ins Gesicht.
Den Schmerz bewusst ignorierend trat er unter dem Vordach aus dichten Fichtenzweigen hervor und spähte durch die umstehenden Eichen zur Sonne empor, die langsam aber sicher an Höhe und Kraft gewann.
Sein Unterschlupf, den er sich bereits im letzten Herbst zusammen gezimmert hatte, verschmolz schon auf kurze Entfernung mit einem Gewirr aus entwurzelten Bäumen, die vor Jahr und Tag einem starken Sturm zum Opfer gefallen waren. Einige der Stämme hatte er zu Wänden und Dach verarbeitet, andere lehnten noch immer gegeneinander und sorgten so für die nötige Tarnung.
David bückte sich, um unter einer zur Seite gekippten und dann wieder angewachsenen Buche hinwegzutauchen. Er musste Acht geben, dass sich sein Jagdgewehr, eine .308 Winchester, nicht in den Ästen verfing. Doch der über der Schulter aufragende Lauf war ihm längst so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er die Höhe richtig einschätzte.
Mühelos wich er allen natürlichen Hindernissen aus und ging weiter.
David besaßkeinen Waffenschein, aber da sein Aufenthalt im Land ohnehin illegal war, konnte ihm das egal sein. Wenn ihn die örtliche Polizei oder das ukrainische Militär aufgriff, würde man ihn so oder so zurück nach Deutschland schicken, wie schon zweimal zuvor. Da kam es auf einen Verstoß gegen das geltende Waffenrecht auch nicht mehr an.
David folgte einem kaum sichtbaren Pfad, der ihn Richtung Osten führte. Seine schweren Bundeswehrstiefel brachten das angefrorene Laub unter seinen Sohlen zum Knistern. Sonst war es völlig still. Nicht einmal ein paar vereinzelte Vögel zwitscherten.
Kein gutes Zeichen.
Er hielt inne, um nach
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