S.T.A.L.K.E.R. 02 - Inferno
Jahre im britischen Special Air Service, die ehrenvolle Entlassung sowie eine gescheiterte Ehe mit zwei Kindern, die ihn mehr Unterhalt kostete, als seine armselige Armeepension überhaupt einbrachte.
Das war das Material, aus dem Stalker geschnitzt wurden.
Dank seiner umfangreichen SAS-Ausbildung konnte Ross mit jeder beliebigen Handfeuerwaffe umgehen und - noch wichtiger - hundertprozentig treffen. Türen aufsprengen, Minen entschärfen, gegnerische Wachen mit dem Messer ausschalten ... all das war Routine für ihn. Er wäre dumm gewesen, diese Fähigkeiten ungenutzt verkümmern zu lassen.
Stanislav und er harmonierten perfekt miteinander, obwohl sie wahrscheinlich in mehr als nur einem Konflikt auf verschiedenen Seiten gestanden hatten. Beide konnten stundenlang am Feuer sitzen und schweigend einen Wodka nach dem anderen kippen. Radek brachte ihre Einsilbigkeit manchmal auf die Palme, doch je älter Wanja Tunduk wurde, desto mehr wusste er solche Momente stiller Übereinkunft zu schätzen.
Ross saß noch immer so im Schatten der Einfriedung, wie Tunduk ihn verlassen hatte: auf einem moosüberzogenen Grabstein, ein angewinkeltes Bein mit auf die Sitzfläche gezogen, das Gewehr locker darauf abgelegt. In dieser Position, die er wohl als bequem empfand, konnte er stundenlang ausharren, allzeit bereit, die IL86 hochzureißen und abzufeuern.
Sein blank rasierter Schädel glänzte im Sonnenlicht, als er prüfend zu Tunduk schaute.
„Alles in Ordnung", erklärte ihm der Alte im Vorübergehen. „Nur eine Ladefläche voller Leichen."
Die Gesichtszüge des Briten glätteten sich. Die Nachricht schien ihn tatsächlich zu beruhigen. So war er, der Alltag in der Zone.
Tunduk umrundete die Einfriedung, die zu einem alten Soldatenfriedhof gehörte, um den sich die Besitzer der Kiesgrube nie geschert hatten. Das Werk lag vierhundert Meter hinter ihm, der Vorratsbunker, der seinen Pulsschlag sosehr in die Höhe schnellen ließ, direkt vor ihnen, in einer alten Gruft.
Die Männer, die das Depot angelegt hatten, hatten die ursprüngliche Vertiefung noch stark erweitert und das Gewölbe mit schweren Betonplatten und Grassoden abgedeckt. Eine massive Stahltür versperrte den Eingang, aber das war nicht das Problem.
Für das Problem war Kim zuständig.
Die junge Frau saß ebenfalls noch so da, wie er sie verlassen hatte: beide Beine untergeschlagen, ihre Hände auf den Knien abgelegt, die Augenlider geschlossen. Sie meditierte, und das schon viel zu lange.
Boris, der sechste in ihrem Bunde, winkte von seinem achtzig Meter entfernten Posten herüber. Weil ihm langweilig war, oder weil er seine Wachsamkeit signalisieren wollte - wen interessierte es schon?
Fünf Meter von Kim entfernt blieb Tunduk stehen. Er sprach sie nicht an, denn er wusste, dass sie seine Präsenz spürte, egal wie leise er auch angeschlichen kam. Ihre schlanke, junge Gestalt verschwand unter den Weiten der Regenjacke. Sie hatte die Kapuze zurückgeschlagen, ein Zeichen, dass sie sich zwischen Ross und Boris sicher fühlte. Ihr weißblondes Haar war zu fingerdicken Dreads verfilzt, die ihr bis über die Ohren und tief in den Nacken hingen.
Um den Kopf trug sie ein selbst geflochtenes Lederband, in dessen Vorderseite der Feuerkäfer so eingefasst war, dass er auf ihre nackte Stirn drückte. Auf diese Weise hoffte sie, ihn besser als Verstärker nutzen zu können.
Tunduk räusperte sich, weil ihm das Warten zu lange dauerte. Als sie nicht darauf reagierte, sprach er sie doch an. „Kim, es wird langsam Zeit. Niemand weiß, wann diese Monolith-Anbeter zurückkehren."
Sie öffnete die Augen und sah über die Schulter zu ihm auf.
„Ist gut, Onkel Wanja." Sie nannte ihn immer noch Onkel, obwohl sie nicht miteinander verwandt waren. Kim tat es wohl, weil sie ihn von klein auf kannte und es nicht anders gewohnt war. Vielleicht aber auch, damit sich die anderen aus der Gruppe von ihr fernhielten.
Dabei brauchte sie sich in diesem Punkt keine Sorgen zu machen. Abgesehen von Radek, der ihr aus der Hand fraß, sah in ihr keiner die junge Frau, sondern lediglich den Schlüssel zum Wohlstand. Nur bei Tunduk lag der Fall etwas komplizierter. Er hatte ihre Mutter gekannt, schon lange bevor sie nach Schweden ausgewandert war, um dort zu heiraten. Nach dem geheimnisvollen Verschwinden von Marina Volchanova hatte Kim ihn aufgespürt und er hatte ihr erzählt, was er über Akademgorodok wusste. Seitdem fühlte er sich ein wenig verantwortlich für das
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