S.T.A.L.K.E.R. 04 - Zone der Verdammten
Glück. Ich mochte dieses Rad nicht. Die Kabinen waren voll mit Leichen in verschiedenen Verwesungsgraden. Das Rad drehte sich endlos, und die augenlosen Schädel der Leichen besahen sich die Gegend von oben. Zuerst waren es nicht viele Tote, aber es kamen immer mehr dazu. Etwas hauste in diesem Riesenrad, lockte die Neugierigen an und tötete sie. Es tötete, solange es noch freie Plätze in den Kabinen gab. Die dunklen Stalker verloren hier viele ihrer Mitglieder, bis sie endlich begriffen, was los war.
Hinter dem Riesenrad sah man die charakteristischen Aufbauten des Kernkraftwerks von Tschernobyl. Noch weiter hinten glitzerte der Tiefe See, aus dem man einst das Wasser zur Kühlung der Reaktoren geholt hatte. Die Rohre waren wie mit Schnee von einer dicken Schicht Brandflaum bedeckt. Es gab eine Theorie, wonach der Brandflaum genau an diesen Rohren entstand und von hier mit dem Wind durch die übrige Zone getragen wurde.
Von meiner Position aus sah das Kernkraftwerk erstaunlich nah aus — vierzig Minuten auf dem direktesten Weg. Aber den direkten Weg durfte man nicht nehmen. Von hier aus erreichte man das Kernkraftwerk nicht, weder zu Fuß noch mit einem Auto oder durch die Luft.
Niemand hatte das bisher geschafft.
Erst hier, in der Toten Stadt, fing man an, die Ausmaße der Tragödie, die sich Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ereignet hatte — und immer noch andauerte — zu begreifen. Während der ersten Explosion wütete die Hauptzerstörungskraft hier. Die leeren Häuser fielen in sich zusammen wie heiße Knetmasse. Und Tausende Menschen, die in den noch aktiven Reaktorblocks arbeiteten oder in ihre Dörfer zurückkehrten, die Zone untersuchten oder bewachten, starben von einem Augenblick zum Nächsten. Oder wurden zu Zombies.
Manche Häuser hatten solche Risse bekommen, dass man den Himmel auf der anderen Seite sehen konnte. Sie blieben aber stehen, Mahnmale, die an das ungeheuerliche Unglück erinnerten.
Die Substanz anderer Häuser floss wie Vulkanlava über die Höfe, erstarrte aber auf halbem Weg.
Nach der Tschernobyl-Katastrophe unterbrachen die Militärs nicht für einen einzigen Tag ihre Forschungen an einer neuen geheimen Waffe. Diese Forschungen liefen hier bereits seit Ende der siebziger Jahre.
Manche Hitzköpfe behaupteten, dass die Katastrophe mit Absicht ausgelöst worden war, damit um die Militärlabors herum eine geschlossene Zone entstehen konnte, in der die Geheimhaltung leichter gewahrt bleiben konnte.
Zu viele Bedingungen, die für eine Explosion solchen Ausmaßes nötig waren, kamen an jenem Tag zusammen. Die dreifache Sicherung aber wurde zu leicht übergangen, um die Explosion als wirklich zufällig verkaufen zu können. Und die Meldungen, die Anfang des 21. Jahrhunderts über den niedrigen Radioaktivitätslevel in der Zone Verbreitung fanden, waren fruchtbarer Nährboden für Fragen wie: Wurden die Werte über die Konzentration von Radioktivität in der Atmosphäre etwa absichtlich aufgebauscht? Und wurde die Panik während der Evakuierung von Tausenden von Menschen künstlich geschürt?
Nein, das alles war natürlich Unsinn. Für die bloße Absicherung der Geheimhaltung wäre man mit weniger Blutvergießen ausgekommen. Und allein schon die immensen Mittel, die für die Beseitigung der Katastrophenfolgen aufgewendet werden mussten, sprachen dagegen. Ganz zu schweigen vom Image des Landes, das irreparablen Schaden genommen hätte ob der weltweiten Empörung, wenn dafür Beweise gefunden worden wären.
Man sagte, die Katastrophe von Tschernobyl sei einer der Auslöser für den Zusammenbruch der mächtigen Sowjetunion gewesen — nicht der Hauptauslöser, aber einer der wichtigsten.
Dass wir die Entstehung der Zone den Militärs zu verdanken hatten, war jedenfalls gewiss. Irgendeine wissenschaftliche Entdeckung von ihnen war nicht länger beherrschbar gewesen. Oder sie hatten einen Riss in der Realität erzeugt, das Tor zu parallelen Welten aufgestoßen, und die ganzen Ungeheuer waren von dort zu uns herübergekommen.
Egal, was letztlich dahintersteckte, es war das Ergebnis ihrer Forschungen.
Es gab weder Zombies noch Mutanten in den düsteren Bezirken, durch die wir schritten. Die Dunklen Stalker verteidigten ihr Territorium mit großem Eifer, großer Leidenschaft gegen Konkurrenten. Und die Biester lernten mit der Zeit, die Gegend um die Stalker-Bar zu meiden.
Auch jetzt hörten wir das dumpfe Gewehrkrachen von den benachbarten Plattenbauten. Die
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