Star Trek - Destiny 02 - Gewöhnliche Sterbliche
wartete auf eine Woge der Müdigkeit und Erschöpfung, die niemals kam. Dann ging die Sonne wieder auf und der gestrige Tag ging in den nächsten über. So wie jeder andere Tag, der folgte.
Die Tage verloren ihre Bedeutung. Licht und Dunkelheit waren nicht mehr als flüchtige Zustände in einer, wie es ihr nun vorkam, beständigen Kontinuität der Erfahrung. Die Zeit verging, wie sie es immer getan hatte, aber sie fühlte sich nicht länger in ihrem Lauf gefangen. Die Vergangenheit schien tiefer. Die Gegenwart schärfer. Die Zukunft näher als jemals zuvor.
Die zweite Sache, die den Verlust ihrer Menschlichkeit begleitete, war ihr Appetit.
»Ihre Catome produzieren nun alles, was Ihr Körper benötigt«, erklärte Inyx eines Abends, während er mit ihr den Sonnenuntergang betrachtete. »Sie treiben Ihre Zellen an und stabilisieren Ihre Neurochemie. Sie werden nie wieder Hunger verspüren.«
Sie blickte direkt in die untergehende Sonne und war überrascht, als sie bemerkte, dass es nicht wehtat. Die Feuerkugel sah so hell wie eh und je aus, aber ihr Licht blendete nicht länger. »Sie haben mir nicht alles über meine Veränderung erzählt, oder, Inyx?« Sie drehte sich zu ihm. »Was kann ich sonst noch?«
»Eine Menge«, antwortete er. »Aber es ist am besten, wenn Sie es nach und nach lernen.«
Sie blickte zurück in das Licht am Horizont und lächelte. »Mit anderen Worten«, sagte sie, »Sie werden es mir nicht verraten.«
»Nein«, sagte Inyx. »Das werde ich nicht. Noch nicht.«
Hernandez machte es nichts aus, zu warten. Sie hatte Zeit.
Während ihr Tagesablauf zu einem Rhythmus wurde, erwartete Hernandez, dass sie nach und nach nicht mehr wissen würde, wie viele Sonnenauf- und -untergänge sie von ihrem Wall aus beobachtet hatte. Stattdessen bemerkte sie, dass sie sich an jeden einzelnen ganz genau erinnern konnte. Tatsächlich waren alle ihre Erinnerungen seit der Verwandlung klar und sofort zur Hand. Sie konnte sie miteinander vergleichen und sie auf ihrer geistigen Leinwand immer wieder abspielen, ohne dass sie die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment verlor.
Anlässlich ihres siebenhunderteinundachtzigsten Sonnenuntergangs seit der Verwandlung kam sie aus einem neu komponierten Konzert im Hauptamphitheater der Stadt, sah zum Horizont und bemerkte, dass sich die Stadt bewegte.
Sie sandte ihre Gedanken aus, um Inyx ausfindig zu machen. Er war auf dem Steg am Rande der Stadt und blickte in die Richtung, in die sich die Stadt bewegte. Sie rief eine Quecksilberscheibe herbei und raste über die Boulevards und zwischen den Türmen hindurch, bis sie über ihm schwebte. Er sah hinauf. »Sie kommen gerade rechtzeitig«, sagte er. »Die Sonne geht unter.«
Sie ließ ihre Scheibe bis auf ein paar Meter über dem Steg runterschweben und trat hinab. Sie stellte sich vor, eine Feder zu sein und sank sanft an seine Seite hinunter. Die Landschaft verschwamm, während sie unter dem Rand der Stadt verschwand, die westwärts der sinkenden Sonne nacheilte.
»Wir bewegen uns«, sagte sie. »Gibt es einen Grund dafür?«
»Ich dachte, dass es an der Zeit wäre«, antwortete Inyx.
Die Stadt nahm an Höhe zu, während sie über eine Bergkette flog, deren Spitzen ins rote Licht der untergehenden Sonne getaucht waren.
Hernandez schwieg, während sie die Schönheit des Moments bewunderte. Dann fragte sie: »Zeit wofür?«
»Dass Sie damit aufhören, auf den Hügel mit den drei Bäumen zu starren«, antwortete er.
Die Abenddämmerung färbte den Himmel ein. »Ein sauberer Schnitt also«, sagte sie.
»Ein neuer Horizont«, erwiderte Inyx.
Die Dunkelheit hüllte Axion ein und über ihnen funkelten die Sterne – mit Ausnahme eines breiter werdenden Streifens, der nackt und schwarz war, als ob jemand in böswilliger Absicht den Himmel ausgelöscht hätte. Hernandez seufzte. »Also gut«, willigte sie ein. »Dann also keine Sonnenuntergänge mehr. Von jetzt an ... will ich nur noch Sonnenaufgänge sehen.«
»Ich finde, das ist eine hervorragende Idee«, stimmte Inyx zu.
Die Stadt durchstreifte Neu Erigol wie ein Nomade. Hernandez und Inyx passten ihre Treffen weiterhin so ab, dass sie während des Sonnenaufgangs stattfanden, der langsam immer dunkler wurde, während die Jahrzehnte vergingen.
Über die üppigen Regenwälder und vereisten Gebirgszüge, über die riesigen Wüsten und abgrundtiefen Meere, jeder neue Sonnenaufgang fühlte sich für Hernandez an wie der Moment ihrer Wiedergeburt, der Ausbruch aus
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