Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Fuß weiter», hatte er gesagt.
«Wo sind die Yankees?»
«Wir haben ihre Kampflinie schon vor zwei Meilen überquert. Aber ab hier sind die Bastarde überall.»
«Wie komme ich zurück?»
«Gehen Sie zu Barker’s Mill. Dort fragen Sie nach Tom Woody. Tom weiß, wie er mich findet, und wenn Tom nicht dort ist, sind Sie auf sich allein gestellt. Gehen Sie jetzt.»
Starbuck hatte sich beinahe den gesamten Vormittag im Schutz des Kiefernwaldes gehalten und war dann Richtung Süden gegangen, bis er zu der Straße kam, wo ihn das Regiment aus New Hampshire gefangen genommen hatte. Nun, gesättigt von einem Mahl, wie er es seit Monaten nicht gehabt hatte, schob er seinen Stuhl zurück und ließ sich eine Zigarre anbieten. Sein Bruder runzelte die Stirn, weil er rauchte, also versicherte Starbuck ihm, er tue das nur, um ein Bronchienleiden zu lindern, das ihn in den Verliesen der Rebellen befallen habe. Dann beschrieb er seine Behandlung im Gefängnis und entsetzte die Tischgesellschaft mit einer anschaulichen Schilderung von Websters Hinrichtung. Er konnte Pinkerton nichts Neues über Scully und Lewis mitteilen, und auch nicht über die Frau, Hattie Lawton, die zusammen mit Webster verhaftet worden war.
Pinkerton, der seine Pfeife mit James-River-Tabak stopfte, den sie in dem Fakultätsgebäude gefunden hatten, in dem sie einquartiert worden waren, runzelte die Stirn. «Warum haben die Rebellen Sie den Tod des armen Webster mit ansehen lassen?»
«Ich denke, sie haben erwartet, dass ich mich verrate, indem ich ihn erkenne, Sir», sagte Starbuck.
«Sie müssen uns für Trottel halten!», sagte Pinkerton und schüttelte den Kopf über diesen offenkundigen Beweis für die Dummheit der Südstaatler. Er entzündete seine Pfeife, dann tippte er auf die Seiten aus Dünndruckpapier, auf denen de’Aths gefälschte Nachricht geschrieben war. «Kann ich davon ausgehen, dass Sie den Mann kennen, der das hier geschrieben hat?»
«In der Tat, Sir.»
«Ein Freund der Familie, was?» Pinkerton ließ seinen Blick von Starbuck zu dem fülligeren James wandern und wieder zu Starbuck zurück. «Und ich gehe davon aus, Mr. Starbuck, dass dieser Freund, wenn er Sie um die Übermittlung dieses Briefes gebeten hat, um Ihre Sympathien für den Norden weiß?»
Starbuck vermutete, dass diese Frage ein ungeschickter Test seiner Landestreue sein sollte, und für eine Sekunde stellte sie ihn tatsächlich auf die Probe, denn nun war der Augenblick gekommen, in dem er anfangen musste zu lügen. Entweder das, oder er musste die Wahrheit bekennen und zusehen, wie seine Freunde in der Kompanie K und in Richmond von der Nordstaatenarmee niedergemacht wurden. Einen betäubenden Augenblick lang fühlte er sich versucht, die Wahrheit zu sagen, und sei es nur, um seiner Seele willen, doch dann dachte er an Sally und lächelte den erwartungsvollen Pinkerton an. «Er kennt meine Gesinnung, Sir. Ich habe ihm nun schon einige Zeit dabei geholfen, die Informationen zu sammeln, die er Ihnen schickt.»
Die Lüge kam ihm glatt über die Lippen. Er hatte sie sogar bescheiden klingen lassen, und einen Moment lag war er sich der schweigenden Bewunderung der Anwesenden bewusst, dann schlug Pinkerton beifällig auf den Tisch. «Also hatten Sie ihren Gefängnisaufenthalt doch verdient, Mr. Starbuck!» Er lachte, um klarzustellen, dass er einen Scherz gemacht hatte, dann schlug er noch einmal auf den Tisch. «Sie sind ein tapferer Mann, Mr. Starbuck, da gibt es keinen Zweifel.» Pinkerton sprach gefühlvoll, und die Männer um den Tisch murmelten ihre Zustimmung zu der Einschätzung ihres Vorgesetzten.
James legte Starbuck die Hand auf den Arm. «Ich wusste immer, dass du auf der richtigen Seite stehst. Gut gemacht, Nate!»
«Der Norden schuldet Ihnen Dank», sagte Pinkerton, «und ich werde mich selbst darum kümmern, dass diese Schuld beglichen wird. Nun, wenn Sie ihre Verköstigung abgeschlossen haben, darf ich Sie dann zu einem privaten Gespräch bitten? Und Sie natürlich auch, James, das versteht sich. Kommen Sie. Nehmen Sie ihren Wein mit, Mr. Starbuck.»
Pinkerton führte sie in einen kleinen, elegant eingerichteten Salon. Theologische Werke reihten sich in den Regalen aneinander, während auf einem Walnussholztisch eine Nähmaschine stand, unter deren Nähfuß noch ein halbfertiges Hemd klemmte. Silbergerahmte Familienportraits zierten einen Beistelltisch. Eines, die Daguerreotypie eines kleinen Kindes, war mit schwarzem Flor umkränzt, zum
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