Starbuck. Der Verräter (German Edition)
den neuen Verrat perverserweise auch immer verlockender, denn sie bedeutete, dass er nach Richmond zurückkehren und den Aufmerksamkeiten von James endlich entkommen konnte. Alles, was Starbucks Rückkehr noch aufhielt, war die Liste mit Fragen, die er Adam überbringen sollte. Diese Fragen wurden von McClellan und Pinkerton zusammengestellt, da aber jeder Tag neue Gerüchte über Truppenverstärkungen bei den Rebellen brachte, ergaben sich auch jeden Tag neue Fragen und Änderungen an denen, die schon auf der Liste standen.
Ein weiterer Trupp eifriger Soldaten kam heran, um sich um den General zu scharen. Es waren so viele, dass James und Starbuck weggedrängt wurden. Starbucks Pferd wich seitwärts aus und begann neben den morastigen Karrenfurchen am Straßenrand zu grasen. General McClellan hielt seine gewohnte Rede darüber, dass er seine hochgeschätzten Jungs zum Sieg führen würde, aber erst, wenn der richtige Moment gekommen sei und günstige Bedingungen herrschten. Die Männer jubelten noch, als der General schon weiterritt.
«Sie werden ihm überallhin folgen», sagte eine leise, spöttische Stimme hinter Starbuck. «Nur will er sie leider nie irgendwohin führen.»
Starbuck drehte sich um und hatte den wild aussehenden französischen Militärattaché Colonel Lassan vor sich, über dessen leerer Augenhöhle eine etwas schimmelig wirkende Klappe hing. Die Uniform des Franzosen zeigte verblasste Pracht, die Metalllitzen seines Uniformrocks waren angelaufen und die Epauletten ausgefranst. Er trug ein massives, gerades Schwert mit Stahlheft, und in seinen Sattelhalftern steckten zwei Revolver. Er zündete eine Zigarre an und reichte sie Starbuck. Diese Beschäftigung führte dazu, dass die anderen Stabsoffiziere an ihnen vorbei weiterritten, und das hatte der Franzose offenkundig bezweckt. «Einhundertfünfzigtausend Mann?», fragte Lassan skeptisch.
«Vielleicht mehr.» Starbuck hatte die Zigarre entgegengenommen. «Danke.»
«Siebzigtausend?» Der Franzose zündete sich ebenfalls eine Zigarre an, dann schnalzte er mit der Zunge, und sein Pferd trottete gehorsam weiter.
«Sir?»
«Ich schätze, Monsieur, dass General Johnston siebzigtausend Mann hat. Höchstens, und dass Sie den Auftrag haben, General McClellan zu täuschen.» Er lächelte Starbuck an.
«Diese Andeutung ist ungeheuerlich», protestierte Starbuck hitzig.
«Selbstverständlich ist sie ungeheuerlich», sagte Lassan amüsiert, «aber auch wahr, oder?» Vor ihnen, schemenhaft durch eine Regenböe erkennbar, schwankte der birnenförmige gelbe Umriss eines von Professor Lowes Ballons am grauen Himmel. «Lassen Sie sich meine Position erklären, Mr. Starbuck», fuhr Lassan verbindlich fort. «Ich bin ein Beobachter, von meiner Regierung entsandt, um den Krieg mitzuverfolgen und nach Paris zu berichten, welche Techniken und Waffen möglicherweise auch für unsere Armee nützlich wären. Ich bin nicht hier, um Partei zu ergreifen. Ich bin nicht wie der Comte de Paris oder der Prince de Joinville» – er deutete auf zwei elegante französische Stabsoffiziere, die dicht hinter dem General ritten –, «die hierhergekommen sind, um für den Norden zu kämpfen. Offen gestanden ist es mir gleichgültig, welche Seite gewinnt. Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, mich darum zu kümmern, sondern nur zu beobachten und Berichte zu schreiben, und es scheint mir, dass es vielleicht an der Zeit ist, den Kampf von der Seite der Südstaaten aus zu begutachten.»
Starbuck zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen, dass ihn Lassans Entscheidungen nichts angingen.
«Denn ich würde wirklich sehr gerne sehen, wie es siebzigtausend Mann schaffen wollen, hundertzwanzigtausend Mann auszutricksen», sagte Lassan.
«Die hundertfünfzigtausend Mann der Rebellen», sagte Starbuck hartnäckig, «werden sich eingraben und die Nordstaatler mit Artilleriebeschuss vertreiben.»
«So wird es wohl nicht gehen», sagte Lassan. «Sie können es sich weder leisten, dass ihnen so viele Yankees auf die Pelle rücken, noch McClellan bei einer Belagerung Widerstand zu bieten. Der Mann mag ein Schaumschläger sein, aber als Pionier macht ihm niemand etwas vor. Nein, Ihre Rebellen werden ihn ausmanövrieren müssen, und dieser Kampf wird zweifellos faszinierend werden. Mein Problem ist allerdings, dass ich keine Genehmigung habe, die Gefechtslinien zu überqueren. Also habe ich entweder die Wahl, zu den Bermuda-Inseln zu segeln und einen Blockadebrecher dafür zu bezahlen,
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