Starbuck. Der Verräter (German Edition)
von ihnen hatte im jeweils anderen die Qualitäten erkannt, die ihm selbst fehlten. Starbuck war ungestüm und launenhaft, Adam dagegen nachdenklich und penibel. Starbuck war ein Sklave seiner Gefühle, während Adam verzweifelt versuchte, dem harten Diktat eines strengen Gewissens zu folgen. Doch aus diesen Unterschieden war eine Freundschaft erwachsen, die sogar die Spannungen überstanden hatte, die auf die Schlacht bei Manassas gefolgt waren. Adams Vater hatte sich bei Manassas von Starbuck abgewendet, und jetzt sprach Starbuck dieses heikle Thema an, indem er Adam fragte, ob er glaube, dass man seinem Vater eine Brigade unterstellen würde.
«Joe würde ihm gern eine Brigade geben», sagte Adam zweiflerisch. «Joe» war Joseph Johnston, der Befehlshaber der konföderierten Streitkräfte in Virginia. «Aber der Präsident hört nicht auf Joe», fuhr Adam fort, «er legt mehr Wert auf die Meinung von Granny Lee.» General Robert Lees Ansehen war zu Kriegsbeginn reichlich hochgeschraubt gewesen, dann aber hatte man ihm nach einem erfolglosen, unbedeutenden Kampfeinsatz in Westvirginia den Spitznamen «Granny» verliehen.
«Und Lee will nicht, dass dein Vater befördert wird?», fragte Starbuck.
«Das habe ich jedenfalls gehört», sagte Adam. «Lee glaubt anscheinend, dass Vater als Handelsattaché nach England gehen sollte» – Adam lächelte bei dieser Vorstellung –, «was Mutter für eine erstklassige Idee hält. Ich glaube sogar, all ihre Leiden würden verschwinden, wenn sie mit der Queen Tee trinken könnte.»
«Aber dein Vater will seine Brigade?»
Adam nickte. «Und er will die Legion zurück», sagte er, weil er genau wusste, warum sein Freund dieses Thema aufgebracht hatte. «Und wenn er sie bekommt, Nate, dann wird er deinen Abschied verlangen. Ich glaube, er ist immer noch davon überzeugt, dass du Ethan erschossen hast.» Adam bezog sich auf den Tod des Mannes, der Adams Schwester hätte heiraten sollen.
«Ethan wurde von einer Granate getötet», sagte Starbuck mit fester Stimme.
«Das wird Vater niemals glauben», gab Adam traurig zurück, «und er wird sich auch nicht davon überzeugen lassen.»
«Dann sollte ich wohl besser darauf hoffen, dass dein Vater nach England geht und mit der Queen Tee trinkt», sagte Starbuck unbekümmert.
«Weil du wirklich bei der Legion bleiben wirst?» Adam klang überrascht.
«Ich mag die Legion. Und die Männer mögen mich.» Starbuck sprach leichthin, um sich nicht anmerken zu lassen, wie leidenschaftlich er an der Legion hing.
Adam ging ein paar Schritte schweigend weiter, während das Gewehrfeuer unterbrochen und fern zu ihnen herüberhallte wie ein kleines Scharmützel in einem Krieg, der sie nichts anging. «Dein Bruder», sagte Adam plötzlich, dann hielt er inne, als hätte er das Gefühl, sich auf schwieriges Terrain zu begeben. «Dein Bruder», fing er dann erneut an, «hofft immer noch, dass du in den Norden zurückkehrst.»
«Mein Bruder?» Starbuck konnte seine Überraschung nicht verbergen. Sein älterer Bruder James war bei Manassas in Gefangenschaft geraten und nun Häftling in Richmond. Starbuck hatte James Bücher geschickt, aber keinen Urlaub beantragt, um seinen Bruder zu besuchen. Er fand jede Auseinandersetzung mit seiner Familie zu schwierig. «Hast du ihn gesehen?»
«Nur in Erfüllung meiner Pflicht», sagte Adam und erklärte, dass eine seiner Aufgaben darin bestand, Listen mit den Namen gefangener Offiziere zusammenzustellen, die zwischen dem Norden und dem Süden ausgetauscht werden sollten. «Ich muss gelegentlich ins Gefängnis von Richmond», fuhr Adam fort, «und dort habe ich James letzte Woche gesehen.»
«Wie geht es ihm?»
«Er ist mager und sehr bleich, hofft aber, durch den Gefangenenaustausch freizukommen.»
«Der arme James.» Starbuck konnte sich seinen ängstlichen und pedantischen Bruder nicht als Soldat vorstellen. James war ein sehr guter Anwalt, aber das Ungewisse und das Abenteuer hatte er schon immer gehasst, und das waren nun einmal genau die Dinge, die einen für all die Gefahren und Unbequemlichkeiten des Soldatendaseins entschädigten.
«Er macht sich Sorgen um dich», sagte Adam.
«Und ich mir um ihn», sagte Starbuck und hoffte damit die Predigt abzuwenden, die er von seinem Freund erwartete.
«Es wird ihn bestimmt freuen zu hören, dass du an Gebetstreffen teilnimmst», sagte Adam eifrig. «Er macht sich Sorgen um deinen Glauben. Gehst du jede Woche zur Messe?»
«Sooft ich kann», sagte
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