Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Pritschen unter dem Getröpfel wegzuschieben. Julia wollte den Sturm sehen, legte sich ihren Mantel um die Schultern und ging auf die schmale Veranda an der Rückseite der Baracke, wo sie und Adam unter dem vorkragenden Schindeldach beobachteten, wie das kolossale Gewitter den Himmel über Virginia erschütterte. Blitz um Blitz fuhr auf die Erde nieder, und Donner um Donner hallte in den Wolken wider. Es war dunkel geworden, doch die Dunkelheit wurde von dem Strahlen der Blitze zerklüftet, und mächtig hallte das Donnergrollen im Firmament. Irgendwo auf dem Gelände des Hospitals jaulte ein Hund, und Bäche von Regenwasser strömten und gurgelten und ergossen sich in die Tiefen des Bloody Runs.
«Mutter hat Kopfschmerzen. Ihre Kopfschmerzen sagen ihr immer voraus, wann mit einem Gewitter zu rechnen ist», erklärte Julia Adam merkwürdig heiter. Aber Julia hatte Gewitter schon immer gemocht. Sie nahm im Zorn der Natur etwas sehr Eigenes wahr, sah sie als schwaches Echo der chaotischen Kräfte, aus denen Gott die Welt erschaffen hatte. Sie zog ihren Mantel eng um sich, und im Licht der Blitze sah Adam, dass ihre Augen vor Erregung strahlten.
«Du wolltest mich sehen?», fragte Adam.
«Ich hoffe, du wolltest mich auch sehen!», sagte Julia neckend, aber insgeheim ersehnte sie ein leidenschaftliches Bekenntnis von Adam, dass er durch ein Dutzend solcher Stürme geritten wäre, nur um sie zu sehen.
«Gewiss wollte ich das, ja», sagte Adam. Er hielt schicklichen Abstand zu Julia, obwohl er sich wie sie mit dem Rücken an die Wand der Baracke gelehnt hatte, wo ihnen das schmale Dach der Veranda den größten Schutz bot. Wasser rann von den Dachschindeln herunter und bildete einen Vorhang, der silbern aufleuchtete, sobald ein Blitz von den Wolken herabzuckte. «Aber du hast mir geschrieben», brachte ihr Adam ins Gedächtnis.
Julia hatte den Brief, in dem sie etwas von einer wichtigen Mitteilung angedeutet hatte, schon fast vergessen, und jetzt, wo schon so viel Zeit vergangen war, vermutete sie, dass die Mitteilung wohl nicht mehr so dringend sein konnte. «Es ging um deinen Freund, Nate Starbuck», erklärte sie.
«Nate?» Adam, der halb damit gerechnet hatte, dass seine Verlobung aufgelöst wurde, konnte seine Überraschung nicht verbergen.
«Er wollte dich besuchen, gleich nachdem er aus dem Gefängnis entlassen war», sagte Julia. «Ich war zufällig im Haus deines Vaters, und ich weiß, dass ich ihn nicht hätte hineinbitten sollen, aber es hat fast genauso stark geregnet wie jetzt, und er wirkte so hoffnungslos, dass ich Mitleid bekommen habe. Das macht dir doch nichts aus, oder?» Sie starrte zu Adam empor.
Adam hatte den Anlass schon beinahe vergessen, der ihn dazu gebracht hatte, Starbuck bei den Bediensteten seines Vaters zur unerwünschten Person zu erklären. In jenem Moment, kurz nach der himmelschreienden Vorstellung einer gefallenen Frau im Haus eines Missionars, war ihm der Bann als passende Vorsichtsmaßnahme erschienen, doch seit diesem furchtbaren Abend hatte sich Adams Wut stark abgekühlt. «Was wollte er?», fragte er jetzt.
Julia hielt inne, während eine wahre Kaskade von Donnerschlägen über der Stadt dröhnte und dann langsam verhallte. Blitze ließen die Wolken aufleuchten, zuckten über den schwarzen Himmel und schimmerten wie matte Silberflüsse in der Luft. Ein Blitzeinschlag hatte irgendwo in der Stadt Manchester auf der anderen Seite des James Rivers einen Brand ausgelöst, und ein paar Sekunden lang war ein trüber, roter Schein zu sehen, den der Regen aber gleich wieder auslöschte. «Er hatte eine Mitteilung für dich», sagte Julia. «Ich fand das alles sehr mysteriös, aber er wollte es mir nicht erklärten. Er hat nur gesagt, du würdest es schon verstehen. Er sagte, du sollst deine Korrespondenz mit seiner Familie einstellen.»
Ein kalter Schauer lief Adam über den Rücken. Er sagte nichts, blickte nur in das dunkle Flusstal hinunter, wo der Regen auf das träge Wasser hämmerte.
«Adam?», fragte Julia.
Vor Adam tauchte plötzlich das Bild einer Schlinge auf, die von einem hohen Balken herabhing. «
Was
hat er gesagt?», brachte er heraus.
«Er hat gesagt, du sollst nicht mehr mit seiner Familie korrespondieren. Kommt dir das seltsam vor? Mir schon, sogar sehr. Schließlich leben die Starbucks in Boston, wie könntest du also mit ihnen korrespondieren? Ich habe gehört, dass Leute Briefe in den Norden schmuggeln, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen,
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