Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Abend, und er wusste, dass er Julia im nahe gelegenen Chimborazo Hospital finden würde. Er hatte Schuldgefühle wegen ihres Briefes, und er hatte den Abend frei, also ritt er los, um seine Verlobte zu treffen. Sein Weg führte ihn an einer der neuen, sternförmigen Befestigungen General Lees vorbei, die ringförmig um die Stadt angelegt worden waren. Die Erdwälle waren mit Reihen frischgefüllter Sandsäcke gekrönt, die von den Nähzirkeln Richmonds beigesteuert worden waren. Die Ladys hatten jedes verfügbare Stoffstück verwendet, sodass die neuen Wälle an eine Flickendecke aus geblümtem Chintz, dunklem Samt und fröhlichen Baumwolldrucken erinnerten, und in dem düsteren Licht des heraufziehenden Gewitterabends wirkte dieses Flickwerk merkwürdig heiter, wie ein heimeliger Anklang in dieser Kriegsatmosphäre. Die Luft, die den ganzen Tag schwül und unbewegt über der Stadt gelegen hatte, rührte sich plötzlich in heftigen Böen und ließ die Konföderiertenflagge über den bunt bekränzten Bastionen flattern. Die Landschaft südlich des Flusses wurde von den letzten, schrägen Sonnenstrahlen beschienen, die weit unter die Wolken reichten, sodass das Land heller wirkte als der Himmel. Adam, der seinen neuen Verrat hinter sich gebracht hatte, versuchte, die fernen, goldenen Strahlen als Omen für Glück und Erfolg zu sehen.
Bei einem der Wachtposten an den Zufahrtsstraßen zur Stadt musste er sich mit seinem Passierschein des Hauptquartiers ausweisen. Fernes Gewittergrollen in der Gegend zwischen den beiden Flüssen klang wie Kanonendonner. Der Posten verzog das Gesicht. «Schätze, heute Abend gibt es einen Sturm, Major. Und zwar einen ordentlichen.»
«Sieht so aus», pflichtete ihm Adam bei.
«Hab noch nie so einen Frühling erlebt», sagte der Wachposten und unterbrach sich, als neuer Donner unheilverkündend durch den Himmel rollte. «Vielleicht ertränkt er ja einen Yankee oder zwei. Dann müssen wir die Scheißkerle nicht alle selber umbringen.»
Darauf sagte Adam nichts, sondern nahm nur seinen Passierschein wieder an sich und ritt weiter. Blitze erhellten den Himmel im Norden. Er ließ sein Pferd traben, ritt gegen den Regen, der in großen, unheilverkündenden Tropfen einsetzte, als er zum Gelände des Hospitals kam. Eine Ordonnanz erklärte Adam, in welcher Station der Gottesdienst gehalten wurde, und Adam galoppierte durch den heftigen Wind, der plötzlich aufgekommen war und die Rauchfäden verwehte, die aus den Metallschornsteinen der Baracken aufstiegen. Der Regen wurde stärker, trommelte auf die Blechdächer und ließ die straff gespannten Leinwände der Zelte beben, die als zusätzliche Krankenstationen aufgebaut worden waren. Adam fand die richtige Baracke, band sein Pferd an einen Verandapfosten und eilte in demselben Augenblick in das Gebäude, in dem ein Donnerschlag den Himmel aufzureißen schien und einen Wolkenbruch auslöste, der derartig laut auf das Dach der Baracke prasselte, dass Reverend John Gordons Stimme übertönt wurde. Julia, die an dem fiependen kleinen Harmonium saß, lächelte erfreut, als Adam so unerwartet auftauchte. Adam zog die Tür hinter sich zu und stellte fest, dass es einer der Freitagabende war, an denen Julias Mutter beschlossen hatte, nicht mit ins Hospital zu kommen. Da waren nur Julia, ihr Vater und der unvermeidliche Mr. Samworth, der beunruhigt zum Dach hinaufsah, als ein neuer Donnerschlag aus dem Himmel herabfuhr.
Der Gottesdienst schleppte sich dahin, unterbrochen von Donner und übertönt vom Trommeln des Regens. Adam, der an einem Fenster stand, sah, wie sich die Dunkelheit über Richmond senkte und wie diese Dunkelheit von Blitzen erhellt wurde, in denen die Kirchtürme in höllisch blendender Helligkeit aufschienen. Das Gewitter nahm noch an Stärke zu, als würde im Himmel ein Krieg toben, während der Regen mit solcher Gewalt auf das Dach niederging, dass Reverend Gordon den ungleichen Kampf aufgab und ein Lied ansagte. Julia pumpte Luft in das kleine Instrument und stimmte «Lob Gott den Herrn zu aller Zeit» an. Nach dem Lied sprach der Missionar einen Segen, den niemand hören konnte, und beendete damit den gewitterumtosten Gottesdienst.
«Das müsste bald vorüberziehen!» Reverend Gordon musste die Stimme erheben, damit Adam ihn verstand, doch der Sturm schien sich über der Stadt festgesetzt zu haben und hatte nichts von seiner Gewalt eingebüßt. Das Dach der Baracke war an einem Dutzend Stellen undicht, und Adam half, die
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