Starbuck. Der Verräter (German Edition)
nicht, worüber sich diese dummen Kerle so aufregen. Ich hätte mit verbundenen Augen eine Division galoppierender Huren im Walzerschritt über diese Brücke bringen können.»
Starbuck grinste über diese himmelschreiende Angeberei, dann drehte er sich ruckartig um, weil eine strenge Stimme vom nördlichen Ufer des Flusses herüberschallte. Es war Colonel Ellis, der jetzt neben dem Telegraphenzelt stand. «Halt!», rief er. «Bleiben Sie auf der Stelle stehen! Halt!»
Starbuck winkte, als hätte er Ellis’ Befehl missverstanden, und ging weiter. Er war schon fast von der Brücke herunter, und dicht vor ihm lag die morastige, glitschige Zubringerstraße. Er begann voranzuhasten, zog sein Pferd hinter sich her.
«Halt!», rief Ellis erneut, und dieses Mal verlieh er dem Befehl Nachdruck, indem er seinen Revolver zog und über Starbucks Kopf hinwegschoss. Die Kugel fuhr peitschend ins Laubwerk des Waldes, der noch etwa fünfzig Schritt vor ihnen lag.
«Führen Sie Ihr Pferd in einem Halbkreis in seine Richtung», sagte Lassan leise, «dann denkt er, Sie gehorchen ihm. Aber zugleich schwingen Sie sich in den Sattel, lassen das Pferd ganz herumdrehen, und dann reiten Sie wie der Teufel. Verstanden?»
«Verstanden», sagte Starbuck, winkte dem Colonel der Pioniere noch einmal zu und zog das Pferd am Zügel herum, um zu zeigen, dass er keinen Fluchtversuch vorhatte, doch gleichzeitig setzte er seinen schlammverdreckten Stiefel in den Steigbügel. Er packte den Sattelknauf und schwang sich auf das Pferd seines Bruders. Auch Lassan stieg auf.
Colonel Ellis eilte zur Brücke und hob die Hand. «Kommen Sie zurück!»
«Auf Wiedersehen,
mon Colonel
», sagte Lassan leise und lenkte sein Pferd in die entgegengesetzte Richtung. «Und jetzt zeigen Sie mir, was ein echter Ritt ist!», rief der Franzose, und Starbuck trieb seinem Pferd die Fersen in die Flanken und folgte dem Pferd des Franzosen. Der Bohlenweg war glatt und tückisch, aber irgendwie gelang es den Pferden, ihren Tritt zu behalten. «Reiten Sie!», trieb Lassan Starbuck an, und Colonel Ellis ermunterte ihn sogar noch mehr, indem er seinen Revolver abfeuerte, nur dass er dieses Mal nicht über die Köpfe der Flüchtlinge hinwegschoss, sondern auf ihre Pferde zielte. Aber die beiden Männer waren schon über hundert Schritt entfernt und Revolver keine besonders treffsicheren Waffen, wenn das Ziel weiter weg war als vierzig oder fünfzig Schritt. Der Colonel feuerte seine ersten beiden Kugeln viel zu hastig ab und zielte erbärmlich ungenau. Dann nahm er sich zusammen und zielte sorgfältiger, aber Lassan war schon im Schatten der Bäume, wo er sein schwarzes Pferd umdrehen ließ und seinen eigenen Revolver zog, mit dem er an Starbuck vorbei zurückfeuerte. Lassans Schüsse gingen ins Marschland oder trieben feuchte Splitter aus dem Bohlenweg. Der Franzose wollte niemanden töten, sondern den Colonel beim Zielen stören, und dann galoppierte Starbuck an ihm vorbei und ritt eine Kurve, sodass er aus Ellis’ Sicht kam.
Lassan holte zu Starbuck auf, und die beiden Männer ritten durch einen genauso düsteren und von Schlingpflanzen überwucherten Wald wie auf dem Nordufer. «Jetzt wissen sie, wo wir sind», sagte Lassan. «Ellis wird ihnen telegraphieren.» Er lud seinen Revolver nach, drückte die Kugel mit dem hebelförmigen Kugelsetzer an der Unterseite des Laufs auf das Schwarzpulver. Der Schlachtenlärm war jetzt lauter, erfüllte die schwüle Luft mit einer Todesdrohung. Lassan entdeckte einen Pfad in den Wald und bog von der Straße ab, dann galoppierte er über einen breiten Reitweg, der sich zu einem Feld verbreiterte, hinter dem mehrere Gebäude lagen. Starbuck folgte ihm und spannte sich an, als der Franzose über einen Koppelzaun setzte. Starbuck packte die Zügel fester, schloss die Augen, und ließ sich von dem Pferd über den Zaun tragen. Irgendwie hielt er sich auf dem Rücken des Tieres, und als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sie einen Weg entlangtrabten, der zwischen einem Feld und einem weiteren Waldstück verlief. Ein Drehpflug war neben dem Weg aufgegeben worden, eine Erinnerung an friedlichere Zeiten, während sich auf der anderen Seite des Feldes ein Fuhrpark der Artillerie befand, auf dem die Pferde, Protzen und Geschütze einer Nordstaatenbatterie auf Befehle warteten. «Am besten tun wir so, als hätten wir überhaupt keine Eile», sagte Lassan. «Es gibt auf einem Schlachtfeld nichts Verdächtigeres als einen Mann, der es
Weitere Kostenlose Bücher