Stardoc 01 - Die Seuche
von deren Existenz ich bislang keine Ahnung gehabt hatte). Ältere Geschwister und junge Erwachsene stellten einen Großteil der unfallbedingten Verletzungen. Bei den Bau-, Hafen- und Landarbeitern waren kleinere Fleischwunden, Zerrungen und gebrochene Knochen an der Tagesordnung.
Da Ältere oder Kranke gar nicht erst einreisen durften, gab es nicht viele Fälle chronischer Erkrankungen oder körperlichen Verfalls. Keine aufstrebende Kolonie will sich mit alternden Pflegefällen herumärgern. Mir fiel auch eine allgemeine Abneigung dagegen auf, über die Familiengeschichte zu sprechen. Wer wollte schon, dass ihm sein Bürgerstatus wegen einer genetischen Schwäche entzogen wird?
Auf der anderen Seite schien auch ich meine Patienten zu faszinieren.
»Du hast schönes Fell.« Ein pelziges Kind berührte vorsichtig meinen aufgerollten Zopf, während ich einen dornigen Stachel aus seiner Flanke entfernte. »Warum hast du den Rest davon entfernt?« Ich erklärte ihr die für sie bizarre Tatsache, dass bei Terranern das meiste Haar auf dem Kopf wuchs. »Wird dir nicht kalt?«
»Terraner haben so weiche Haut«, sagte ein anderer Patient, während ich seine beschädigten Oberschenkelmuskeln sorgfältig untersuchte.
Sein Bein war mit dicken, achteckigen Platten aus stacheligen Knorpeln bedeckt. »Sie erinnert mich an einige der Häute, aus denen wir auf meiner Welt Kleidung herstellen.« Er schaute mich an, als wollte er mich für eine Jacke vermessen.
»Ich habe noch nie einen weiblichen Terraner getroffen«, flötete ein kleiner, vogelartiger Mann. Seine Kehle war vom vergeblichen Versuch entzündet, eine Partnerin zu gewinnen. Ich verordnete ihm einen Saft gegen die Schmerzen und wies ihn an, weniger Balzgesänge anzustimmen. Er gab ein angestrengtes Trillern von sich und versuchte mir einen Flügel um die Schultern zu legen. »Ich nehmen nicht an, dass Sie an speziesübergreifender Fortpflanzung interessiert sind?«
»Nein danke«, sagte ich.
Andere waren nicht wirklich bezaubert von mir.
»Sind Sie unreif?«, wollte eine große, vollbusige Matrone mit postnatalen Krämpfen wissen.
»Nicht dass ich wüsste«, sagte ich und musste schmunzeln, als ich hinzufügte: »Manchmal kann ich sogar regelrecht mütterlich sein.«
Sie schaute skeptisch auf mich herab. »Das kleinste Kind aus meinem letzten Wurf ist doppelt so groß wie Sie!«
Zwei potenzielle Patienten sahen mich, machten auf dem Absatz kehrt und gingen wieder. Ich fragte in beiden Fällen bei der Schwester nach und erfuhr, dass sie einen anderen Arzt verlangt hatten. Einen nicht-terranischen Arzt, meinten sie.
Wegen Leuten wie meinem Vater hegten sie sofort Vorurteile gegen mich. Vielleicht hatten sie die Befürchtung, ich könnte in guter alter Tradition auf den Boden des Behandlungszimmers spucken.
»Das war die letzte Krankenakte«, sagte ich der Oberschwester dreizehn Stunden später. Ich war todmüde, ein Missgeschick mit einem Dermalapplikator sorgte für ein stetiges Jucken, und ich war überzeugt, dass ich die dümmste Entscheidung meines Lebens getroffen hatte. »Gibt es Einwände dagegen, dass ich den Rest des Tages freinehme?«
»Sie sollen sich morgen im Hauptquartier für Ihre Einweisung melden und dann die Betaschicht übernehmen«, erklang es knapp aus dem Lautsprecher des Zentralbildschirms. Dann fügte T'NIiqinara etwas sanfter hinzu: »Gehen Sie schlafen, Doktor.«
Doktor Rogan fing mich ab, bevor ich den Haupteingang erreichte. Er lächelte mich hasserfüllt an, und sein stinktierartiger Geruch erreichte neue Höhen der Abscheulichkeit. Ich musste durch den Mund atmen, um mich nicht auf seine Schuhe zu erbrechen.
»Schicht zu Ende? Fällt ihnen jetzt etwas ein, das Sie brauchen?« Ein höhnisches Grinsen untergrub seine vorgetäuschte Sorge.
Ich zuckte mit den Schultern. Mit fiel eine Menge ein: eine Erklärung für die Handlungen meines Vaters, ein heißes Bad, drei Tage Schlaf, einen Liter heißen Karamells auf einem Fass voller Vanilleeis. Ich sagte nichts davon. Ich vermutete, dass Phorap Rogan keinen Sinn für Humor hatte.
Es gab noch so viele Dinge, die auch die moderne Medizin nicht heilen konnte.
»Ich komme zurecht, Doktor.«
»Tatsächlich?«
Ich nickte, zu müde um diesen nutzlosen verbalen Schlagabtausch fortzusetzen und trotz meiner Bemühungen drauf und dran, mich zu übergeben.
»Aber danke der Nachfrage«, sagte ich, während ich mich an ihm vorbeidrückte.
Vor dem Haupteingang ging ich an einer langen Reihe
Weitere Kostenlose Bücher