Starke Frau, was nun?
– drohen, jede Sekunde durchzubrechen.
Wer immer es ist?
Abrupt reißt sie die verquollenen Lider auf und ihr Herz legt einen Dauerlauf ein. Nein! Das würde er nicht wagen!
Oder?
Kaum gedacht stürzt sie zur Tür und seufzt gleich noch einmal, als die offen ist, denn natürlich wagt dieser Feigling das nicht!
Im Hausflur stehen Mechthild und Hans, Lisas Mutter mit deutlich manischen Tendenzen und Hans mit immer noch ziemlich strenger Miene. Lisa will ihren Vater bereits anfahren, schließlich kann man ja auch alles übertreiben, als der plötzlich grinst. »Na, aufgeregt?«
Nein – um ehrlich zu sein, verspürt sie nicht die geringste Anspannung. Das Herzklopfen hat sich längst wieder gelegt und Lisa ist eigentlich nur eines: Müde!
Doch an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Während Hans sich in der Küche ans Kaffeekochen macht, beginnt die manische Mechthild, die Wohnung unsicher zu wirbeln. Als Erstes wirft sie Robert von der Couch; der ist natürlich ausgeschlafen, wie Lisa neidisch feststellt, denn er muss nur zweimal blinzeln und schon strahlt er wieder.
Oh Frau!
Und dann bricht das Grauen erst wirklich über die beiden herein. Robert wird zum Anheizen des Badeofens verdonnert (»Es wird wirklich Zeit, dass ihr euch eine andere Wohnung sucht!«); Lisa ist mit einem Mal nicht mehr Herrin ihres Körpers, denn Mechthild stellt plötzlich die seltsamsten und erschreckendsten Dinge mit ihr an. Ihr Haar wird schon mal vorgewaschen; mangels warmen Wassers muss es eben das kalte tun (»Jetzt stell dich nicht so an, man heiratet schließlich nur einmal. Als dein Vater und ich uns das Jawort gaben, da hatten wir nur ein Zimmer und Außenklo!«).
Robert wird auch angetrieben, und zwar von Hans, der sich offensichtlich von dem Wahnsinn seiner Frau anstecken lässt.
Eine Stunde später sitzt Lisa in einem Lavendelschaumbad, doch aus der Entspannung und dem derzeit noch ausstehenden Erwachen wird nichts, weil Mechthild ihr inzwischen schon mal das Haar eindreht (»Ich schwöre, du siehst nicht aus wie Oma Christel, lass mich nur machen!«).
Als die damit fertig ist, reicht sie Lisa doch tatsächlich einen dieser Einwegrasierer, die sie aus ihrer Tasche ans Tageslicht befördert hat, welche sich übrigens mehr und mehr als Horrorkabinett entpuppt. Dabei wirkte das Lederding in der Hand ihres Vaters so unschuldig! Es hilft kein Toben und auch kein Brüllen; unter Mechthilds gestrenger Aufsicht rasiert Lisa sich kurz darauf die Beine. Sie kann sich nicht erinnern, jemals zuvor von ihren Eltern bevormundet worden zu sein. Offenbar macht die Hochzeit des einzigen Kindes aus den alternativsten Müttern unerträgliche Glucken.
Irgendwann, als die Müdigkeit sie lähmt und Lisa sich zunehmend in ihrem schlimmsten Albtraum wiederfindet (nein, nein, das davor waren alles nur Proben!), beschließt sie, sich auszuklinken und noch ein wenig vor sich hinzudämmern. Mechthild fällt das in ihrem Wahn gar nicht auf.
Und so geht das Ankleiden an Lisa ebenso unbemerkt vorbei wie das Schminken oder die Vollendung der Reinkarnation Oma Christels. Lisa denkt an gar nichts – eine wirklich gute Taktik; man kann tatsächlich auch mit offenen Lidern schla...
»Lisa?«
»LISA!«
Heftig fährt sie zusammen. »Was?«
Ihre Mutter lächelt. »Wir sollten dann losfahren. Ist alles in Ordnung?«
Da ist er wieder – der analytische Blick! Die Frau ist tatsächlich schizophren; Lisa sollte ihr dringend empfehlen, mal einen guten und versierten Kollegen aufzusuchen. Momentan scheint der Zeitpunkt leider nicht der richtige und deshalb ringt sie sich mühsam ein Lächeln ab. »Alles klasse! Ich habe letzte Nacht nur nicht geschlafen.«
»Oh!« Die Augen werden groß; Frau Manisch ist zurück. »Das ist völlig normal!«
Wie Lisa es sich bereits gedacht hatte, sie erfüllt ein verdammtes Klischee! Dass es einmal so weit mit ihr kommt, hätte sie ja auch nie vermutet.
Als sie ins Wohnzimmer treten, sieht sie sich suchend um, obwohl offensichtlich ist, dass ihr Vater und ihr zukünftiger Gatte verschwunden sind. »Wo sind die beiden?«
»Wo wohl? Auf dem Weg zum Standesamt!«
»Äh ... und wir?«
»Wir fahren jetzt.« Mechthild spricht mit ihrer Tochter, als wäre die nicht ganz bei sich. Was für ein Schwachsinn, schließlich ist die Mutter hier die Gestörte und nicht sie! »Und warum das jetzt wieder?«, erkundigt sich Lisa.
»Weil das nun einmal so ist!« Es kommt strikt und duldet keinen Widerspruch.
Lisa tut zwar selten, was
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