Starke Frau, was nun?
nacheinander, damit Frau sich Zeit nehmen kann, die grausame Wahrheit zu verkraften. Nein! Alles purzelt in Lichtgeschwindigkeit über ihr armes Hirn herein. Der Ami! Sie ist bei ihm! Gestern saß sie im Knast! Sie hat sich geprügelt. Heute ist Sonntag!
Alles ist nicht unbedingt uninteressant, aber der Sonntagfaktor ist der entscheidende, der sie aktiviert. Wütend reißt sie die Lider auf, rechtzeitig, um etwas Dunkles, Bedrohliches direkt über ihrem Kopf auszumachen.
»AHHHHHH!«, brüllt Lisa, aber zu spät. Der nasse – eisige – Lappen klatscht frontal in ihr Gesicht.
Es folgen fünf Minuten wüster Beschimpfungen, halber Nervenzusammenbrüche und etlicher nicht jungendfreier Flüche, dann sitzt sie im Schneidersitz auf dem feuchten Laken und starrt ihn wütend an. »Was willst du?«
Chris grinst. Er trägt bereits Jeans und Hemd, nur zum Schließen des zuletzt genannten ist er wohl noch nicht gekommen, während sie so ziemlich nackt ist. »Breakfast is ready. Hurry up, wir müssen dann nämlich los.«
»Wattn los? Heut ist Sonntach, verjessen? Ick jeh nirjendwohin!« Stöhnend greift sie sich an die Stirn und fühlt einen fetten Wundverband. Ach ja, da war ja was; seinen Schädel zieren auch etliche Pflaster. »Außerdem sind wir verletzt.«
»Wer sich prügeln kann, kann auch mit den Folgen leben«, meint er schlicht. »Du schuldest mir noch einen Ausflug an den Müggelsee. Der war gestern geplant, aber du musstest ja alles versauen, weil du dich sinnlos mit den Leuten am Boden wälzen wolltest.«
Lisa schnappt nach Luft – das passiert ihr häufig in Gegenwart des Wahnsinnigen –; sie setzt an, verdreht die Augen, versucht es erneut, versagt wieder und erst beim dritten Versuch gelingt es ihr, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. » Bist du irre? «
Nein, ist er nicht. Also, Chris glaubt jedenfalls nicht daran. Nachdem sie ihren Kaffee getrunken hat – ja, morgens gehört der auch zu ihrem Leben, der Irre ist begeistert –, wird sie ins Bad gezwungen und muss sich danach der Tatsache stellen, dass sie nur die Klamotten vom gestrigen Tag hat. Die sind schmutzig, was man nicht erkennt, weil sie dunkel gehalten sind, aber sie riechen auch nicht sonderlich gut.
Den Ami interessiert das nur am Rande, er hebt die Schultern. »Das passt schon.«
»Arschloch!«, zischt Lisa. »Wenn du glaubst, ich würde mich auf die Scheiße einlassen, dann hast du dich getäuscht. Ich zieh mich jetzt an und gehe nach Hause! Du kannst meinetwegen ins Grüne zuckeln und die nicht vorhandene natürliche Weite anglotzen.«
»Also stehst du nicht zu deinem Wort?«
»Wattn für‘n Wort?«
Er stöhnt entnervt. »Dein Wort: Wenn ich mich auf diese selten dämliche Kundgebung einlasse, mir mit dir danach die sehr wohl vorhandenen natürlichen Weiten anzuschauen. Sehenden, nicht glotzenden Auges, versteht sich. Die Sonne scheint, es ist Frühling, heute ist Sonntag, was ist dein Problem?«
»DU!«
»Ja, aber das ist doch nicht neu! Das traf auch schon zu, als du in den Handel einschlugst.« Mit verschränkten Armen lehnt er in der Schlafzimmertür und beobachtet sie beim Anziehen; die Stirn ist gerunzelt. Schließlich wendet er sich abrupt ab. »Wir haben einen Deal, ich meinen Part erfüllt, jetzt bist du dran. Hurry up!«
»Hurry up!«, äfft sie ihn nach, noch immer davon überzeugt, diesem Idioten nicht nachzugeben.
* * *
Doch als sie schließlich vor seinem Haus stehen, geht ihr auf, dass er zumindest in einer Angelegenheit nicht übertrieben hat. Der gestrige Tag war schon schön, auch wenn sie aus gegebenem Anlass davon nicht allzu viel mitbekommen haben. Aber heute ist der Himmel komplett wolkenlos, die Sonne steht schon relativ hoch; es verspricht, der erste echte Frühlingstag zu werden.
Was erwartet sie, wenn sie nicht mit ihm ins Grüne fährt?
Entweder sie geht zu Robert und lässt sich über Stunden von der bevorstehenden Hochzeit vorschwärmen, oder sie verzieht sich zu ihren Eltern und weiß nichts mit sich anzufangen, oder aber sie flüchtet sich zu Peggy (die nach letzten Informationen wieder zu Hause ist) und darf sich die neuste Schelte einschließlich Drohungen der Mädchen abholen.
Und da Lisa weiß, dass wenigstens das diesmal nicht ohne Tobsuchtsanfall ausgehen wird, und zwar von ihrer Seite, was unweigerlich zum lange angekündigten Eklat führt, beschließt sie schließlich, dem Macho nachzugeben.
Mit allem anderen kann sie sich auch noch am Abend auseinandersetzen.
Wenn es sein
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