Starke Frau, was nun?
muss!
Bevor es jedoch endlich in die nicht vorhandenen grünen Weiten losgeht, muss sie einen schweren Tiefschlag verkraften: Von ihrer Dolores ist nur noch das eiserne Gerippe übrig. Irgendwer hat die Reifen geklaut, den Lenker verbogen, und wenn sie nicht alles täuscht, dann ist die undefinierbare Masse auf dem Sattel eine Ladung Erbrochenes.
»Nein«, wispert sie, wagt noch nicht ganz, ihren Augen zu trauen.
Neben ihr ertönt eine heitere, dunkle Stimme. »Na ja, also wenn du mich fragst, dann war das eine überfällige Sterbehil...«
Ihr Kopf fährt zu Chris herum. »Kannst du einfach mal deine Schnauze halten, ja?«
Er betrachtet sie mit erhobenen Brauen, doch dann nickt er. »Okay, ich kann deine Trauer verstehen ... irgendwie ... really!« Seine Lippen zucken. »Aber, jetzt auch mal ehrlich: Du hattest doch wohl nicht vor, mit dem Rad nach Grünau zu kurven, oder?«
»Sicher nicht«, erwidert sie ziemlich zackig, womit sie momentan wie Karla in deren besten Zeiten klingt. »Aber du bist doch nicht so irre, anzunehmen, dass ich mit deinem hässlichen Auto fahre, oder?«
Nun, er ist so irre; seine Verblüffung ist nicht zu leugnen. »Okay, du hast mich«, sagt er. »Also, wie wollen wir dorthin gelangen? Zu Fuß?«
Sie stöhnt. »Du bist derart abhängig von deinem verdammten PS-Monster, dass du jede Alternative, die nebenbei bemerkt nicht die Atmosphäre verseucht, nicht mal in Betracht ziehst!« Hin und wieder mengt sich ein trockenes Schluchzen zwischen ihre gezischten Ausführungen, denn noch immer hat sie den Verlust ihrer besten Freundin Dolly nicht ganz verkraftet. Nebenbei fragt Lisa sich bekümmert, ob es einen Friedhof für vernichtete Drahtesel gibt, schließlich kann sie ihr Mädchen hier unmöglich stehen lassen.
Als sie seinen verwirrten Blick sieht, stöhnt sie. »Wir fahren mit der Bahn! Wie jeder andere vernünftige Mensch auch!«
»BAHN?« Das kommt noch verblüffter und sie gibt es vorerst auf. »Aber, bevor wir irgendetwas in Sachen Topfthema tun, schaffen wir Dolly hier fort!«
»Doll... wer?«
Eine Antwort erspart sie sich.
Chris kann sich Kopfstellen und mit den Ohren wackeln, es ist Lisa egal. Erst, nachdem er Dollys sterbliche Überreste gesäubert, zurück zu seinem Wohnhaus und die Treppen hinauf in sein Appartement getragen hat, gibt sie ein halbherziges Daumenhoch zum Start des dämlichen Ausfluges. Der Ami ist nicht ganz bei der Sache. Unverwandt betrachtet er Dolly – also, was von der übrig ist – und den hellen Teppich darunter.
»Kannste morgen sauber machen«, meint sie und zerrt ihn aus der Tür.
* * *
Ja, Chris hatte davon natürlich keinen Schimmer, aber es existiert selbstverständlich eine wunderbare Bahnverbindung nach Berlin-Grünau. Man braucht vom S-Bahnhof Friedrichstraße bis dorthin auch nur eine gute Stunde. Für Lisa kein Problem, doch das Gesicht des ewigen Autofahrers wird immer länger.
»Wann bist du zuletzt mit der Bahn gefahren?«, erkundigt sie sich.
»Oh, das lässt sich leicht beantworten. Niemals.« Er runzelt die Stirn. »Und jetzt weiß ich auch, warum.« Mit leicht angewiderter Miene beobachtet er einen Obdachlosen, der sich drei Sitzreihen weiter einen ruhigen Schlafplatz gesucht hat, und Lisa verdreht die Augen. Was für ein Heini!
Als sie aussteigen, ist es früher Mittag und die Luft riecht tatsächlich nach Frühling. Dabei ist es so warm, dass sie ihre Jacke auszieht.
Sie mustert Chris, während sie vor dem Bahnhofsgebäude stehen. »Was jetzt?«
»Jetzt gehen wir zum Müggelturm.«
Oh Frau!
Nachdem Lisa sich auch von diesem Schock erholt hat, seufzt sie. »Bist du schon mal Straßenbahn gefahren?«
»Sehe ich so aus?«
»Nein ...« Diesmal seufzt sie stärker. »Na ja, das werden wir jetzt auch mal ändern ...«
Nach weiteren eineinhalb Stunden Fahrt in den diversen Fahrzeugen der Berliner BVB gelangen sie schließlich ans Ziel seiner irrsinnigen Träume. Es verhält sich ähnlich wie samstags mit den Technikmarktreisenden:
Halb Berlin ist auch auf die Idee gekommen, am ersten Tag im Frühling dieses Ausflugsziel zu wählen. Und so fühlt es sich nicht sehr viel anders an als am Tag zuvor, als Lisa und Chris mit den ungefähr drei Millionen Menschen gleichzeitig zum See und den diversen Gaststätten nebst Turm streben. Nur das Durchschnittsalter ist um einiges höher.
Der Emigrant hat sich erfolgreich von der Straßenbahnfahrt erholt, die Busfahrt hat er auch lebend überstanden und schon ist er wieder sein
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