Starkes Gift
Erfolgsfrau mit dem Süßwarenladen. Sie fand, der Fall sei nicht bewiesen, und es sei durchaus möglich, daß Boyes das Zeug selbst genommen oder von seinem Vetter bekommen habe. Das schönste ist, sie hatte schon dem einen oder anderen Arsenprozeß beigewohnt und war in ein paar Fällen nicht mit dem Urteil einverstanden – vor allem im Seddon-Prozeß. Von Männern hält sie generell nichts (sie hat ihren dritten unter die Erde gebracht), und Expertengutachten mißtraut sie aus Prinzip. Sie hat gemeint, Miss Vane könne es ihrem persönlichen Eindruck nach schon getan haben, aber aufgrund eines medizinischen Gutachtens würde sie nicht einmal einen Hund an den Galgen bringen. Anfangs war sie noch bereit, sich der Mehrheit anzuschließen, aber dann hat sich der Obmann bei ihr unbeliebt gemacht, indem er seine männliche Autorität gegen sie ausspielen wollte, und zuletzt hat sie sich dann entschlossen, meiner Freundin Miss Climpson den Rücken zu stärken.«
Sir Impey lachte.
»Hochinteressant. Wenn wir solche internen Informationen über die Geschworenen nur immer bekämen! Wir placken uns mit der Aufbereitung der Beweise ab, und dann setzt sich einer etwas in den Kopf, was mit Beweisen überhaupt nichts zu tun hat, und ein anderer unterstützt ihn, weil er findet, daß man sich auf Beweise sowieso nicht verlassen kann. Und wie steht’s mit dem Mann?«
»Das war der Künstler. Der einzige übrigens, der das Leben, das diese Leute führten, wirklich verstand. Er hat Ihrer Mandantin den Streit, wie sie ihn geschildert hat, ohne weiteres abgenommen und gemeint, wenn sie zu dem Mann wirklich so gestanden habe, wäre es für sie das letzte gewesen, ihn umbringen zu wollen. Dann hätte sie sich lieber ruhig hingesetzt und ihn leiden sehen, wie der Mann mit dem hohlen Zahn in dem ulkigen Lied. Er konnte sich auch die Geschichte mit den Giftkäufen sehr gut vorstellen, die den andern natürlich äußerst schwach erschien. Außerdem hat er gemeint, daß Boyes nach allem, was er gehört habe, ein eingebildeter Pinsel gewesen sei, und man den, der ihn um die Ecke gebracht habe, als öffentlichen Wohltäter feiern müsse. Er habe das Pech gehabt, einige von seinen Büchern zu lesen, und halte den Mann für einen Parasiten und ein öffentliches Ärgernis. Er halte es im Grunde für mehr als wahrscheinlich, daß er Selbstmord verübt habe, und wenn jemand dieser Meinung sei, wolle er ihn gern unterstützen. Dann hat er den Geschworenen noch einen Schrecken eingejagt, indem er meinte, er sei es gewöhnt, nächtelang in schlechter Luft zu sitzen, und seinetwegen könnten sie die ganze Nacht weitertagen. Miss Climpson meinte ebenfalls, daß man im Dienste einer gerechten Sache ruhig ein paar kleine Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen müsse, und fügte hinzu, daß ihr Glaube sie fürs Fasten gerüstet habe. An dieser Stelle bekam die dritte Frau einen hysterischen Anfall, und ein anderer Mann, der am nächsten Tag ein wichtiges Geschäft abschließen wollte, verlor die Beherrschung, so daß der Obmann, um Gewalttätigkeiten zu verhindern, den Vorschlag machte, man solle sich darauf einigen, daß keine Einigung möglich sei. So war’s.«
»Na ja, immerhin haben sie uns noch eine Chance gegeben«, sagte Mr. Crofts. »Der Fall kann erst in der nächsten Sitzungsperiode wieder verhandelt werden, so daß wir ungefähr einen Monat Zeit haben, und wahrscheinlich bekommen wir dann Bancroft als Richter, der nicht so scharf ist wie Crossley. Die Frage ist nur, können wir etwas tun, um unsere Prozeßaussichten zu verbessern?«
»Ich werde mich jedenfalls kräftig ins Zeug legen«, sagte Wimsey. »Es muß nämlich irgendwo Beweise geben. Ich weiß, daß Sie alle emsig waren wie die Biber, aber ich werde arbeiten wie ein Biberkönig. Außerdem habe ich Ihnen allen gegenüber einen ganz großen Vorteil.«
»Mehr Verstand?« meinte Sir Impey grinsend.
»Nein – so etwas würde ich nicht laut sagen, Biggy. Aber ich glaube an Miss Vanes Unschuld.«
»Hol’s der Kuckuck, Wimsey, haben meine beredten Ausführungen Sie etwa nicht überzeugt, daß ich mit ganzem Herzen daran glaube?«
»Doch, natürlich. Mir sind fast die Tränen gekommen. Da steht der gute alte Biggy, habe ich zu mir selbst gesagt, und ist fest entschlossen, sich aus dem Anwaltsgeschäft zurückzuziehen und sich die Kehle durchzuschneiden, wenn das Urteil gegen ihn ausfällt, weil er nicht mehr an die britische Gerechtigkeit glauben kann. Nein, mein Lieber – Ihr
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