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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Kategorie »lieber Freund«, er pumpte seine Matratze auf, holte morgens sogar Bagels, eine Art geschmacksfreies Brötchen mit Loch in der Mitte, und machte sich anderntags wieder auf den Weg nach Deutschland. Als er in London zwischenlandete, sah er auf CNN, dass in Downtown die Türme gefallen waren. Er hatte ins Gästebuch »Hier bin ich – der erste Gast in diesem gemütlichen Haus.
    Danke für das herzliche Willkommen, die Würstchen und das Bier. Ihr werdet in der Zukunft noch viel mehr von mir sehen« geschrieben.
    Ähnliches kritzelten viele in unser Gästebuch, aber niemand erfüllte die Wiedersehens-Zeilen auch nur annähernd so authentisch wie P.
    Sechs Wochen später war P. wieder da, diesmal mit einem Kollegen, sie hatten geschäftlich in New Jersey zu tun. Die Trümmer auf Ground Zero rauchten noch. Er schrieb ins Gästebuch: »Hier bin ich wieder, und – wow! – das Haus hat sich ziemlich verändert. Jetzt stehen Möbel drin. Danke für das herzliche Willkommen, die Würstchen und das Bier. Sehe euch bald wieder!«
    Sechs Wochen später war P. wieder da, diesmal ohne Kollegen, er schrieb ins Gästebuch: »Back in the Land of the Strecks. Truthahn-Zeit! Was kann sich ein Reisender mehr wünschen? Nette Leute, gutes Essen, Gallonen von Wein. Bis bald.« Nach seinem nächsten Besuch schrieb P.: »Bin ich jetzt qualifiziert genug für euer Frequent-Visitor-Programm, und kann ich Bonuspunkte sammeln?«
    Viel Besuch hat den unschätzbaren Vorteil, dass man die örtlichen lokalen Schnaps- und Weinläden, die Liquor-Stores, sehr gut kennenlernt. Wir haben uns angewöhnt, drei verschiedene Liquor-Stores anzufahren, weil es der Frau peinlich ist, permanent in einem Laden kistenweise Wein einzukaufen, »was sollen die denken?«. Die Betreiber der drei Liquor-Stores lieben uns. Todd von der »Liquor Pantry« fragte die Frau einmal: »Habt ihr ein Hotel oder ein Restaurant?«, und sie antwortete wahrheitsgemäß: »Nein, wir haben nur sehr viel trinkfesten Besuch aus Europa.«
    Todd liebt seitdem die Europäer. Er wünschte sich mehr Europäer in der Gegend, am liebsten nur Europäer, denn wir sind gut fürs Geschäft, »ihr trinkt einfach mehr als Amerikaner«. Todd allein hat ein Vermögen an uns verdient, und wenn wir uns mal einige Wochen nicht in seinem Laden blicken lassen, weil wir entweder im Urlaub waren oder aus Peinlichkeitsgründen die beiden anderen Spirituosen-Geschäfte aufsuchten, macht er sich ernsthaft Sorgen, »good to see you again!«, um uns und natürlich um sein Geschäft. Es ist schön, vermisst zu werden. Selbst von Todd und aus naheliegenden Gründen. In den anderen beiden Wein- und Schnapsläden wird eine mehrwöchige Abwesenheit gleichfalls mit aufrichtigem Kummer registriert, »good to see you again!«, als hinge das Wohl und Wehe der hiesigen Schnaps- und Weinindustrie einzig und allein von uns und unseren Gästen ab. Vielleicht ist das auch so. Mit Gewissheit aber können wir behaupten, Deutschlands Bild in Amerika selbst in Zeiten tiefer politischer Zerwürfnisse nach Kräften und unter todesmutigem Einsatz unserer Lebern verteidigt zu haben.
    Man muss unseren lieben Gästen zugestehen, dass sie sich durch nichts abschrecken ließen. Durch nichts und niemanden. Nicht durch den 11. September, nicht durch die grassierende Terror-Angst, nicht durch die Milzbrand-Erreger-Hysterie, nicht durch Bin Laden und nicht mal durch George W. Bush. Sie kamen im Oktober, sie kamen im November, sie kamen im Dezember, im Januar, Februar. Sie kamen immer, im Winter, Frühjahr, oft im Sommer und noch mehr im Herbst, Indian Summer! Sie kamen bei Wind und Wetter. Sie blieben mal eine Nacht, mal Tage, mal eine Woche, mal drei Wochen. Einer, Kategorie »lieber Freund«, zwei Kleinkinder, verewigte sich im Gästebuch mit: »Eure Gastgeber-Qualitäten finde ich echt bemerkenswert, zumal wir und die Kinder gelegentlich zu Extrem-Terror neigen … Danke und bis bald!«
    Zum Abschluss zeigt die Frau den Besuchern den Keller, mit dem Stützpfeiler-Wald und dem Kabelsalat-Dressing, und dann schlagen die Gäste die Hände über dem Kopf zusammen, »Oh, mein Gott«, und wundern sich, dass sie überlebt haben in der Villa Kunterbunt, aber bis zum nächsten Besuch haben die meisten den Keller-Schock wieder vergessen.
    Irgendwann, nach einem Jahr, begannen die Töchter des Hauses zögerlich zu nörgeln, weil viel Besuch natürlich zur Folge hat, dass man enger zusammenrücken oder bei sehr viel Besuch das

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