Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Gottes, aber er sprach noch mehr von Geschlechtskrankheiten und neuen Viren und zitierte aus dem Fachwerk »Epidemie – how teen sex is killing our kids«: »Wer mit sechs Personen Sex hat, ist statistisch betrachtet einer 63-mal höheren Infektionsgefahr ausgesetzt.« Danach las er aus einer E-Mail eines Mädchens, was getan hatte, was sie vor der Ehe nie hätte tun sollen, und nun Warzen hatte an einer Stelle, wo Warzen nicht sein sollten. Es wurde wieder still in der Kirche. Sex macht krank, das war nun allen klar. Und wie. Zumindest macht Sex vor der Ehe krank. Dann kam es zum Schwur auf die Keuschheit. Aber erst durften die Kids einen Silberring für 15 Dollar kaufen, den sie von diesem Tag an tragen mussten und erst ablegen für den Ehering.
Zigtausend Jugendlichen hatte der Reverend Pattyn den Keuschheitsschwur und 15 Dollar für den Ring abgenommen. Er war auf einem Kreuzzug gegen die Lust, und das verhehlte er nicht. Es geht nicht um sicheren Sex. Es geht um gar keinen Sex. Kondome? »Schützen nicht richtig.« Masturbation? »Beinhaltet sexuelle, pornografische Fantasien.« Es hilft nur eins: nicht dran denken und die Fingerchen schön auf der Bettdecke lassen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Die meisten der Jugendlichen werden dummerweise doch schwach oder rückfällig, weil auch nur Menschen und trotz der vielen neuen Viren da draußen. Aber der Reverend kämpfte unverdrossen. Ob er vor der Ehe Sex hatte, fragte ich ihn. »Nein«, sagte er entschlossen. Pause. »Sie meinen doch richtigen Geschlechtsverkehr, oder?« Ein bisschen oral ist ganz normal.
Mir war übel, als ich die Kirche verließ. Draußen traf ich einen Kollegen vom italienischen Magazin »Panorama«, dem auch übel war vor lauter Viren und Warzen-Geschwurbel, und er schüttelte den Kopf und sagte: »Ist es nicht eine Schande? Diese Noshi sah wirklich scharf aus.« Darauf konnten wir uns sofort einigen und rätselten gemeinsam darüber, ob die scharfe Noshi nicht vielleicht doch …, aber auch das war nur so ein Gedankenspiel.
An diesen seltsamen Abend musste ich denken in Cancun und wünschte mir, dass unsere Töchter nie in die Fänge des Warzen-Predigers geraten würden. Ich wünschte mir aber unsere Töchter auch nicht so wie Deborah und Sarah aus Lincoln, Nebraska, die gerade am großen Finale arbeiteten. Deborah hatte es sich auf dem Schoß eines College-Studenten aus Indiana gemütlich gemacht, der – erkennbar volltrunken – sein Glück kaum fassen konnte. Ihre Freundin Sarah machte sich unterdessen an einem nicht minder hochachtungsvollen Mittdreißiger zu schaffen, welcher zwar einen Ehering trug, aber ein »Spring Break« von seiner Gattin nahm.
Es war ein lehrreicher Abend in Mexiko; El Arenal ist überall. Wir hatten viel gelernt über Paarungsverhalten im Frühjahr, das sich fundamental unterscheidet von den übhchen Dating-Riten, über die das amerikanische Fernsehen ausführlichst informiert. Normales Dating in den USA funktioniert so: Junge fragt Mädchen, ob er sie zum Essen einladen darf. Mädchen sagt ja. Junge und Mädchen gehen essen, er zahlt. Wenn das Gespräch einigermaßen vernünftig verläuft, darf Junge das Mädchen nochmals zum Essen einladen, wieder zahlen und flüchtig küssen. Wenn das Mädchen die dritte Einladung annimmt, heißt das: zum Nachtisch Sex.
Theoretisch ganz einfach, in der Praxis deutlich schwerer. 90 Millionen Amerikaner leben allein, und das Geschäft mit der Einsamkeit floriert: Tausende von Matchmaking-Firmen haben sich darauf spezialisiert, das zu ändern, und im Fernsehen laufen ein gutes halbes Dutzend Serien rund ums Verkuppeln. Eine stieg im zweiten Jahr zum erklärten Kleinfamilien-Favoriten auf: »Joe Millionaire«. Joe hieß im richtigen Leben Evan. Er war auch kein Millionär, sondern Bauarbeiter und ehemaliges Unterhosen-Modell. Joe hatte nun über mehrere Wochen hinweg die Aufgabe, aus 20 gut aussehenden, aber nicht zwangsläufig klugen Frauen die Dame seines Herzens zu wählen und der am Ende zu beichten, dass er keine Kohle schaufelt, sondern Dreck und schon hauptberuflich baggert. Zu diesem Zweck hatte der Sender »Fox« eigens ein Schloss in Frankreich, Romantik!, angemietet und die 20 Ladies dorthin verbracht. Mit einer nach der anderen ging Joe nun aus und mit einer Dame sogar in ein Wäldchen, in das ausnahmsweise keine Kameraleute folgten. Man hörte immerhin schmatzende Geräusche und dann etwas Undefinierbares, was die Fernsehschaffenden von »Fox«
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