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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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warum European Football das Spiel der Welt ist und nicht American Eggball. Sie verstehen es einfach nicht. Deshalb verbündeten wir uns alle paar Jahre, bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften, mit Menschen vornehmlich aus Europa, um Fußball zu gucken in einschlägigen New Yorker Kneipen. Fußball soll ja Völker verbinden. Theoretisch. Man machte bei diesen Völker-Verbindungs-Veranstaltungen allerlei interkulturelle Erfahrungen – etwa in einem Etablissement des Namens »Nevada Smith« auf der Third Avenue, in dem sich vornehmlich mittwochs und samstags Fußball-Süchtige aus aller Welt treffen. Im »Nevada Smith« zeigen sie auf großen Bildschirmen die englische Liga, die spanische, die deutsche, die italienische und sogar die amerikanische.
    Bei besonders wichtigen Ereignissen verlangen sie 20 Dollar Eintritt, und dennoch ist der Laden stets proppenvoll mit Iren, Spaniern, Italienern, zahnlosen Engländern und Deutschen. Amerikaner sind auch manchmal da, aber vor allem solche, die früher in Europa lebten und sich dort ansteckten. Sportliche Aufeinandertreffen englischer und deutscher Vereine sollte man meiden im »Nevada Smiths«, schon weil die zahnlosen Engländer mengenmäßig klar überlegen sind und ihr Liedgut meist auf den Zweiten Weltkrieg rekurriert. Der Wirt delegiert bei derartigen Anlässen Deutsche und Engländer umsichtig in zwei verschiedene Räume der Gastwirtschaft. Und wenn englische Mannschaften gegen deutsche verlieren, achtet der Gastronom auch auf getrennten Abzug. Es ist fast ein bisschen wie im richtigen Stadion, selbst eintrittsgeldmäßig, aber das »Nevada Smiths« ist halt eine der wenigen Oasen in der Fußball-Diaspora, und was sind schon 20 Dollar für eine schöne englische Niederlage, selbst wenn die Frau des Hauses dann leidet?
    Freunde deutschen Gesangs sind im »Original Bavarian Indoor Beergarden Zum Schneider« beim Fußball-Gucken besser aufgehoben, wie Mann und Frau des Hauses bei ihrer ersten Weltmeisterschaft in Übersee leidvoll erfahren mussten. Zuweilen verirrten sich sogar Engländer in diese deutsche Enklave auf der Lower Eastside. Ein paar Österreicher waren auch da. Geschenkt.
    Man erhält im »Zum Schneider« Rouladen mit Rotkohl, rolled beef with vegetables & red cabbage und Schwammerl Ragout und Sausage Platter. Man erhält dort auch allerlei deutsches Bier, vor allem aber rasch tiefen Einblick in die deutsche Seele, die in New York City nicht viel anders ist als in Brackwede, Hückeswagen oder Herne II. Die Klosprüche – »Wer Opel fährt und Fanta trinkt, der leckt die Funz, auch wenn sie stinkt« – besitzen hier wie dort ähnlich tiefenphilosophischen Charakter. Hochwertige abendländische Gesangskultur wummerte unablässig aus den Boxen, »Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse …«
    Aber was blieb uns übrig? Das »Nevada Smiths« war überfüllt an diesem Abend.
    Während dieser Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2002 war es wegen Sitzplatzknappheit ratsam, sehr frühzeitig bei Herrn Schneider aufzuschlagen, wenigstens sechs Stunden vor Anpfiff. Die Frau diagnostizierte drei Stunden vor dem Anpfiff korrekt, dass die »Idioten-Dichte im Lokal bedrohlich steigt«. Im Fernsehen lief die Wiederholung von Deutschland gegen Kamerun, und wann immer der deutsche Trainer eingeblendet wurde, grölten junge Banker, Werber, Unternehmensberater, Filialleiter und andere teutonische Führungskräfte »Ruuuuudiiiii« durch die New Yorker Nacht. Rudi Völler war damals Trainer und ist gewissermaßen der Vater des langgezogenen »i«. Bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Deutschland riefen sie »Klinsiiii« und »Poldiiii« und »Schweiniiii«, und die wenigen unerschrockenen Amerikaner im »Zum Schneider« fragten sich, warum neuerdings alle deutschen Namen mit »i« enden, und verstanden es natürlich wieder nicht. Ignoranten eben.
    Eine Stunde bis zum Anpfiff, Musik: »An der Nooord-Seeee-Küsteeee«. Dann endlich: das Spiel, erschütterndes Gebolze, dennoch »Deutschland, Deutschland«-Rufe. Herr Schneider, Wirt des Lokals und erkennbar angeschlagen, war zwischendurch auf den Tresen gestiegen und hatte verkündet, dass ab vier Uhr kein Bier mehr ausgeschenkt werde, New Yorker Gesetz. Ruuuudiiiiiii-Deutschland gewann, Löcher flogen aus dem Käse und landeten an der Nord-Seeee-küsteee. Herr Schneider stieg wieder auf den Tresen, zog sein Deutschland-Leibchen aus und schleuderte es durch die Luft wie der junge Mick Jagger weiland T-Shirts

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