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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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auf der Bühne. Herr Schneider hatte offensichtlich auch eher einen Hang zum Fernsehsport und weniger Drang zur Bewegung, was sich als Bauchspeck niederschlug und den künstlerischen Wert seiner Tresen-Darbietung drastisch schmälerte.
    »Freibier«-Rufe dann. Herr Schneider hob die Hände und sprach »Freibier für alle«. Das ging nicht, weil ab vier ja kein Bier mehr ausgeschenkt werden durfte und die New Yorker Polizei um diese Zeit als eher spaßbereinigt gilt. Aber die großzügige Geste machte es. Applaus für Herrn Schneider. Halbwegs geordneter Abzug gegen halb fünf. Von weiteren Selbstversuchen im »Zum Schneider« nahmen wir fortan Abstand und erzählten auch unseren amerikanischen Freunden und Nachbarn nichts davon.
    Unsere fast penetrante Lobhudelei in Sachen Fußball zeitigte immerhin kleinere Erfolge. John, Gatte unserer geschätzten Friseuse Rita, nahm tatsächlich den Ratschlag der Frau des Hauses auf und reiste mit Rita nach Deutschland zur Weltmeisterschaft. Sie hatten Karten für das Halbfinale in München, stärkten sich zuvor ausgiebig im Hofbräuhaus mit viel Bier, und beinahe hätte John mit seinen gewaltigen Quarterback-Händen das Interieur zerlegt, als ein paar Männer johlend seine Rita auf die Schulter nahmen und durch die Schenke trugen. John, nicht vertraut mit diesem schönen deutschen Brauch, hielt das im ersten Moment für einen Akt von Kidnapping, und die Konsequenzen wären furchtbar gewesen für Hofbräuhaus, johlende Männer und John. Aber dann bedeutete ihm ein deutscher Sitznachbar, dass Fremde-Frauen-durch-Wirtshäuser-Tragen ein weit verbreiteter bayerischer Volkssport sei, und alles war gut. John war danach auch sehr angetan vom Halbfinale. Er sah das erste Fußballspiel seines Lebens live im Stadion und erzählte uns später, wie verwundert er gewesen sei über das Tempo und die wenigen Pausen und die Athletik, »und alles ohne Schutz-Polster«. Er war »excited«.
    Wir freuten uns für John. Und wir freuten uns für uns. Wir genossen den Sieg still.



»GULP«
Liebe, Sex und Prüderie
    Unsere Kleinfamilie verbrachte einmal eine Nacht in Cancun, Mexiko, gestrandet dort auf dem Weg zurück nach New York. Man brachte uns unter in einem Hotel mit Strand, die Töchter hüpften ins Meer, und Frau und Mann wurden unterdessen Zeugen eines bizarren Balzverhaltens, das in Amerika vorzugsweise im Frühjahr ausbricht und Millionen amerikanischer Teenager an Strände von Florida, Kalifornien und neuerdings eben auch Mexiko spült. Dieses Phänomen heißt »Spring Break« und ist ein Freiluftbesäufnis mit anschließendem Austausch von Körpersäften. Das europäische Äquivalent existiert in Orten wie Ibiza und El Arenal auf Mallorca, und Mann und Frau können nicht eben behaupten, von diesen Plätzen jemals besonders angetan gewesen zu sein.
    In Mexiko steckten wir nun fest für eine Nacht und trafen bei dieser Veranstaltung die Studentinnen Sarah, 19, und Deborah, 21, welche aus Lincoln, Nebraska, stammten und Jura studierten. Beide waren recht hübsch, recht blond und recht offen. Sie erzählten, dass ihr Tagesablauf in dieser einen Woche in etwa so aussehe: morgens Rausch ausschlafen, mittags an den Strand gehen und Corona trinken, bei dieser Gelegenheit Testosteron-Witterung aufnehmen, abends an die Bars zum Balzen und bei Erfolg im Zimmer Finale. Die Frau, pragmatisch wie immer, wollte von den beiden wissen, wie sie denn die Trips ins mexikanische Vögelparadies finanzierten, »als Studentin konnte ich mir so was nicht leisten, ich meine die Reisen«, und Deborah flötete »Our dads«. Die Papis daheim in Nebraska zahlten für Flug und Hotel, und wenn die Papis Pech hatten, können sie alsbald die Töchterchen bewundern in der beliebten Video-Serie »Girls Gone Wild«, einem Frischfleisch-Kompendium, wie junge Mädels Dinge anstellen, von denen die Papis und Mamis früher bestenfalls geträumt haben. Deborah und Sarah bestellten Pina Coladas und wünschten uns noch einen schönen Abend, und ich nickte und sagte »likewise«, denn es war klar, wie der ihre bei Erfolg enden würde.
    Mir wurde einen Moment lang schummrig vor Augen, als ich mir vorstellte, dass unsere Töchter eines Tages wildfremden Menschen erzählen würden, wie sie …, und die Frau des Hauses las offenbar meine Gedanken und sprach: »Keine Sorgen, unsere werden nie so.« Sie referierte klug und schlüssig, dass »Spring Break« nichts anderes sei als eine amerikanische Jugendrevolte gegen Prüderie, und wir

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