Stars & Stripes und Streifenhörnchen
seien erwiesenermaßen keine prüde Familie, also bitte kein Trübsal. Die Töchter, elf und dreizehn während der Cancun-Episode, schauten sich das Balzfest einigermaßen amüsiert an und wunderten sich über die hohe Quote von nackten Brüsten an diesem Hotelstrand, was in Amerika undenkbar wäre. Fürs Brüstezeigen haben Amerikanerinnen eben Mexiko oder den Aufgang D im »Giants Stadium« bei den Spielen der New York Jets.
Die Jüngere fragte ein bisschen erstaunt: »Und warum damals die ganze Aufregung um Janet Jackson?« Das war eine überaus berechtigte Frage. Die Kleine hatte nicht vergessen, dass die ganze Nation vor Entsetzen schauderte, als Frau Jackson in der Halbzeitpause eines Superbowls für einen Sekundenbruchteil die linke Brustwarze zeigte. Auch wir saßen seinerzeit vor dem Fernseher, und nicht einem Mitglied der Kleinfamilie war der Warzen-Gau aufgefallen. Aber Amerikaner haben einen geschulten Bhck für Kleinigkeiten, und anderntags sprach das Land nicht über den Superbowl, sondern über Nippelgate, und Frau Jackson musste öffentlich Reue zeigen und führte das Malheur auf eine Garderoben-Fehlfunktion zurück.
Frau und Mann fragten sich, was aus der Flower Power und »Make Love not War«-Generation geworden war, und amerikanische Freunde klärten uns auf, dass die Sprödnis vieler US-Bürger womöglich ein Reflex auf die freizügigen 60-er und 70-er Jahre sei. Außerdem hätten wir jetzt Bush und leider nicht mehr Clinton, und das reichte als Erklärung. Einerseits.
Andererseits geben Amerikaner, Bush hin oder her, jährlich zehn Milliarden Dollar für Sexprodukte aus; mehr als für Sport oder Musik. Hollywood produziert pro Jahr etwa 400 Kinofilme, während im benachbarten Fernando Valley, dem Epizentrum des Triebgeschäfts, 12 000 Vollzeitkräfte rammelnd ihren Lebensunterhalt verdienen und 11000 Pornos auf den Markt stoßen.
Prüderie und Pornografie sind wie ungleiche Geschwister. Gute Eltern müssen beide mögen.
Frau und Mann einigten sich darauf, dass wir Amerika vielleicht nie richtig verstehen werden, zumindest nicht diesen Teil. Und während wir noch in Cancun am Tresen saßen und Deborah und Sarah aus Nebraska beim Techteln und Mechteln zuschauten, erinnerte ich mich gewissermaßen ans Kontrastprogramm, dem ich einmal beiwohnen durfte, einem Sex-Abstinenz-Gelübde-Abend in einem Kaff in Ohio. Veranstalter war eine Gruppierung namens »The Silver Ring Thing«, die an einem Sommerabend in Canton die örtliche Jugend zum Infoabend in die First Baptist-Church einlud. Etwa 300 Teenager im Alter von 12 bis 19 erschienen und wurden in einer Bühnenshow drei Stunden lang mit Musik, Videos, irdischen und überirdischen Botschaften beschallt. Die Botschaft war so: Sex vor der Ehe ist gefährlich, führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu Geschlechtskrankheiten und schlimmstenfalls zum Tod. Denn, nicht wahr, 65 Millionen Amerikaner leiden unter immer mehr Geschlechtskrankheiten, das Böse ist da draußen, und es vermehrt sich rasant. Sicher vor den Viren ist nur, wer der Versuchung widersteht: Abstinenz!
Die Bush-Regierung förderte solche Programme mit dreistelligen Millionenbeträgen. Und man fragte sich, rein hypothetisch, wie die Welt wohl aussähe, wenn des Präsidenten Eltern George sen. und Barbara ein Weilchen länger abstinent gelebt hätten, aber das war nur so ein Gedankenspiel.
Ein Video wurde gezeigt: Junges Mädchen ist schwanger, Freund ging fremd, kriegte Herpes, Mädchen sagt: »Unser Kind wird mit einer Geschlechtskrankheit geboren.« Dann weint sie und macht Schluss mit dem Freund. Stille in der Kirche. Noshi betrat die Bühne, sie war 21, Studentin, blond und hübsch wie Deborah und Sarah in Cancun. Aber reichlich anders, weil ganz offensichtlich trieb-immun. Noshi riet den Mädchen in der Kirche: »Tragt keine sexy Klamotten«, weil das die Jungs als Einladung verstehen könnten. Und nicht vergessen – »Küssen ist das Limit.«
Der Abend näherte sich dem Höhepunkt, als der Reverend Denny Pattyn zum Jungvolk predigte. Pattyn ist Gründer von »Silver Ring Thing«, Prediger aus Arizona und führt den Feldzug gegen die Sünde an. Denny war einst mal ein rechter Schlimmfinger, »ich stamme aus einer schlechten Familie, und ich war ein Dieb«, begegnete dann Gott und reist seitdem im höheren Auftrag durchs Land. Denny, verheiratet, drei Töchter, sah ein bisschen aus wie ein Soldat. Er trug khakifarbene Pants und ein olivgrünes T-Shirt. Denny sprach über die Kraft
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