Stars & Stripes und Streifenhörnchen
unseren Fernseher speist. Wir haben Sender für Wetter, Verkehr, Essen, Nachrichten, Spielfilme und ungefähr 50 allein für Sport. Es gibt Sender für Latinos, Juden, Schwarze, Weiße, Kinder, Teenager, Schwule, Lesben und wahnsinnig viele für Evangelikale. Die Auswahl ist annähernd unendlich, und mich verwirren diese vielen Sender. Mann und Frau würden mit 20 Kanälen locker auskommen, die Kinder mit fünf. Es ist nun nicht so, dass der schwarze Kasten im Wohnzimmer zum Lebensmittelpunkt geriet. Aber er erleichterte viel. Die Töchter lernten die neue Sprache schneller, und wir entdeckten im Laufe der Zeit alle unsere persönlichen Lieblingskanäle. Die Frau liebte den History-Channel und später in ihrer Tanz-Phase »Dancing with the Stars«, die Kinder liebten anfangs alles, was im weitesten Sinne mit Kindern zu tun hatte, und später Comedy-Serien. Und ich entdeckte irgendwann Kanal 409, Gol TV, einen Fußball-Sender, der mir fortan das Leben erheblich verschönerte.
Aber es gab Rituale bei uns, die waren unantastbar, und selbst die Töchter reagierten wie Pawlowsche Hunde, brave Kinder. Wenn ich nach einem langen Tag nach Hause kam und nur die Tür öffnete, schalteten die Töchter wortlos von Kanal 50, Comedy Central, auf Kanal 25, CNN. Man musste sie nicht einmal anherrschen, prima Töchter. Papas Anblick gleich CNN. Alles richtig gemacht.
Auch jener Abend, nach einem Jahr in Amerika, begann wie viele Abende. Ich kam nach Hause, die Töchter schalteten routinemäßig auf CNN. Dort sah man Bush und Blair und Rumsfeld, die man den ganzen Tag über schon gesehen hatte, wie sie Dinge sagten, die man den ganzen Tag über schon gehört hatte. Da sprach die Frau des Hauses: »Du bist nicht auf der Höhe der Zeit. Amerika guckt jetzt ›Meet my Folks‹.« Wir stritten kurz über »Höhe der Zeit«, und ich sagte, dass Bush und Blair und Rumsfeld in diesen schweren Zeiten verdammt noch mal wichtiger seien als irgendwelche Folks. Der Streit endete wie immer. Sie schaltete einfach um auf »Meet my Folks« und sprach: »Du wirst schon sehen.«
Und ich sah.
In »Meet my Folks« sollten die Eltern eines erkennbaren Kretins aus acht Mädchen die vermeintlich Richtige für ihren Sohn aussuchen. Die jungen Damen mussten sämtlichst einen Lügendetektor-Test über sich ergehen lassen, sämtlichst mit bestürzenden Resultaten. Später wurden noch die besten Freunde oder Freundinnen der Kandidatinnen zugeschaltet und erzählten allerlei Nettigkeiten. Etwa dass Tawny gern im Bikini bei fremden Männern putzt, die Schwanzlängen ihrer Liebhaber notiert, einmal sogar ihren Psychologen aufs Sofa zerrte und überhaupt gerne Pornos guckt. Tawny musste gehen. Die Runde reduzierte sich abermals nach einem Wissenstest. Auf die Frage »Wie viele Tage hat das Jahr?« wusste keine der Intelligenz-Abstinenzlerinnen die Antwort. Aber Chelsea, die mit »346, right?« noch am nächsten lag, durfte sich im Finale den Kretin krallen und mit dem für eine Woche nach Europa.
Bush und Blair und Rumsfeld verschwammen langsam, und die Frau sprach: »Das ist noch nicht alles«. Auf einem anderen Kanal lief »Queer eye for the straight guy«, eine populäre Sendung des Inhalts, dass fünf Schwule sich über einen zauseligen Hetero hermachen, binnen weniger Tage dessen Wohnung und Kleiderschrank auf Vordermann bringen und dem Zausel obendrein Manieren bei. Derart generalüberholt wird der entzauselte Hetero auf die Damenwelt losgelassen, mit bahnbrechenden Erfolgen, wie mir die Frau des Hauses versicherte.
Auf TLC, The Learning Channel, Kanal 38, zogen sodann 44 Zwerge ein Flugzeug und traten an gegen einen Elefanten, der auch ein Flugzeug zog. Das Ganze nannte sich »Man versus Beast«, und das Elefanten-Biest gewann mit sieben Sekunden Vorsprung, weil Zwerge eben doch nicht über sich hinauswachsen können. Die Zwerge durften im Übrigen nicht Zwerge genannt werden. Der Sprecher nannte die Zwerge »vertically challenged«, »vertikal herausgefordert«. Mir wurde schummrig, aber die Frau sprach: »Es kommt noch doller«. Denn anschließend lief »Fear Factor«. Menschen verspeisten Enten-Embryos und würgten sie runter mit Hilfe von flüssiger Schweineleber, weil sie 30 000 Dollar gewinnen wollten.
Das alles kam an einem Abend in Amerika, und 60 Millionen schauten zu. Wir auch. Das schlechte Gewissen wegen Bush und Blair und Rumsfeld verging allmählich. »Wenn man hier lebt, muss man da durch«, sagte die Frau.
Wir mussten da durch. Und wir
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