Stars & Stripes und Streifenhörnchen
war ein paar Wochen nach dem verheerenden Hurrikan »Katrina«, saß ich mit einer Fotografin im New Yorker Flughafen La Guardia auf dem Weg zum nächsten Sturm »Rita«. Wir hatten unsere Iso-Matten und Rucksäcke geschultert und jede Menge Müsliriegel dabei und sahen so aus wie eine Mini-Expedition auf dem Weg zum Nanga Parbat. Wir warteten wieder einmal auf ein wieder einmal verspätetes Flugzeug, das uns nach Texas und zu »Rita« bringen sollte, und erzählten uns gegenseitig von unseren Erfahrungen mit amerikanischen News-Reportern während »Katrina« in New Orleans. Die Fotografin berichtete, wie einer der hiesigen TV-Stars mit einem Helikopter in die Dach-Suite seines Hotels geflogen wurde, weil kein Strom war und ergo kein Aufzug funktionierte. Von dort oben hatte er einen dollen Blick über die absaufende Stadt, erzählte aber dem amerikanischen Fernsehvolk ergriffen von Not und Elend um ihn herum.
Wir wetterten und schimpften und machten uns lustig, und meine Kollegin hörte irgendwann auf zu wettern und zu schimpfen, was mich aber nicht daran hinderte, weiter zu lästern über die Dekadenz der Fernsehschaffenden in Amerika. Ich benutzte, fern von Frau und Töchtern, viele f- und s-Worte in meinem Vortrag. Die Fotografin lauschte und legte dann den Zeigefinger auf ihren Mund. Aber ich war längst noch nicht durch mit meiner Suada über den schleichenden Niedergang des Fernsehjournalismus, bis sie schließlich sagte: »You'd better stop here«. Ich fragte: »Warum?«, und sie sagte: »Neben dir sitzt Matt Lauer«. Man muss dazu wissen, dass Mister Lauer eine der berühmtesten Fernsehnasen des Landes ist. Auch er war auf dem Weg zum nächsten Sturm, aber er hatte keine Iso-Matte und keine Müsliriegel für den Notfall dabei, sondern eine ganze NBC-Crew. Matt Lauer hatte meinem Vortrag aufmerksam gelauscht und, wie mir meine geschätzte Fotografin später versicherte, mehrmals den Kopf geschüttelt. Ich drehte mich um, schaute Lauer ins Gesicht und sprach: »Nothing personal«, und das meinte ich ausnahmsweise ernst. Schließlich hatte Lauer schon von einem Bürgerkrieg im Irak gesprochen, als das noch ein ganz großes Tabu war und politisch unkorrekt. Dafür genoss er meine Sympathie. Zwei Jahre später führte Lauer außerdem ein legendäres Interview mit dem verkappt schwulen Senator Larry Craig aus Idaho. Craig saß auf einem Sofa und hielt seine Frau im Arm, der Lauer ein fabelhaftes Geheimnis entlockte. Einer von Craigs Callboys hatte seinen Akt mit dem Senator sehr akribisch festgehalten, und Frau Craig teilte Mister Lauer und damit der gesamten Nation nun mit, dass die Chronik des Lovers schon deshalb nicht stimmen könne, weil sie in drei Punkten signifikant falsch jene Körperstelle ihres Gatten beschreibe, »die eigentlich nur ich kennen sollte«. Man fragte sich kurz, was Frau Craig mit der Wortwahl »drei« und »signifikant« wohl meinte, aber so tief bohrte Matt Lauer dann doch nicht. Es war eine absolute Sternstunde des Fernsehens, und die verdankten wir Matt Lauer, der mir meine Flughafen-Tirade auch nicht weiter übel nahm und, mit zwar verdrießlicher Miene, großmütig »it's okay« sprach.
Wir können absolut verstehen, warum den Nachrichtensendungen die jungen Zuschauer in Scharen weglaufen und zum Blödel-Kanal Comedy Central konvertieren, wo abends Jon Stewart in seiner »Daily Show« eine halbe Stunde lang den Tag in Washington genial persifliert und danach ein Mensch namens Stephen Colbert im »Colbert-Report« einen stramm rechten Talkshow-Gastgeber mimt, der Kongressabgeordnete in aberwitzigen Interviews zu Sätzen treibt wie: »Es gibt Umstände, die es erfordern, Kätzchen in Häckselmaschinen zu entsorgen« oder »Ich genieße Kokain.« Colbert reizte dieses Spiel so weit aus, dass die Demokraten ihren Leuten aus berechtigter Furcht vorm Bad im Kakao nahelegten, sich von dem Satiriker nicht interviewen zu lassen. Als Colbert spaßeshalber als Präsidentschaftskandidat antreten wollte, wuchs seine Anhängerschaft auf Facebook.com schneller als die aller echten Kandidaten und in einem derartigen Tempo, dass die Webseite zeitweilig kollabierte.
Wir gehören auch zu den Nachrichten-Konvertiten. Jon Stewart war mir schon aus dem Grund sympathisch, weil er mal in Tucker Carlsons »Crossfire« erschien und den fragte, wie ein Mann von Mitte dreißig freiwillig eine Fliege tragen und darüber hinaus so viel Stuss von sich geben könne. Auch eine Sternstunde. Stewart und Colbert
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