Stars & Stripes und Streifenhörnchen
dürften deshalb allesamt erleichtert gewesen sein, als der Reiseveranstalter »Expedia« eine Untersuchung vorlegte, nach der die Amerikaner in der nach oben offenen Unbeliebtheitsskala verdrängt wurden von Briten und Chinesen und, jawoll ja: Franzosen!
Jeden Abend trafen wir Tracey und Tony fortan an der Bar. Wir machten Witze über Sitz- und Steh-Pinkler, Deutsche und Amerikaner und Franzosen, und am vierten Abend nach dem fünften, sechsten oder siebten Bier nahm uns Tony beiseite. Er räusperte sich, und wir vermuteten kurzzeitig, er wolle uns beichten, dass er als geborener Monteleone so eine Art Pate von Richmond sei. Tony lallte, es sei viel schlimmer: »Tracey und ich haben Bush gewählt.« Einen Moment lang trat Stille ein am Tresen, in der Feme lärmten Franzosen. Tony sagte auch, er habe sich schon beim mehrminütigen Exkurs der Frau des Hauses outen wollen, sei aber von seiner Frau des Hauses durch einen gezielten Wadenbeintritt daran gehindert worden. Tony ist ein guter Mensch. Wir tranken auf einen neuen Präsidenten, egal wer, die Franzosen sangen ein Lied, was wir nicht verstanden. Die Frau verzieh Tony und Tracey großzügig. Und am Ende eines langen Abends torkelten wir rechtschaffen besoffen von deutsch-amerikanischer Freundschaft in unser Appartement am Strand. Wo die Töchter auf uns warteten, »Papa, bist du blau?«, und quengelten und schreckliche Dinge fragten wie: »Warum haben alle anderen immer die schönen Plätze direkt am Meer und wir nieeeee?« Ich erwiderte: »Wir sind vielleicht keine richtigen Deutschen mehr.« Aber das Argument verfing nicht bei den Nörgel-Töchtern – »Hör dir doch bloß deinen Akzent an«, sagte die ältere. Also beschloss ich morgens um halb drei oder um halb vier, diesem Elend ein Ende zu setzen, ein für alle Mal, und sprach: »Euer Papa geht jetzt an den Strand und legt Badetücher auf die Stühle direkt am Wasser.« Die Frau schüttelte betreten den Kopf, aber ich machte mich auf den Weg, und die jüngere Tochter gab mir Feuerschutz. Wir schworen noch in dieser Nacht, Tony und Tracey niemals von diesem erschütternden Rückfall in deutsche Tugenden zu erzählen, nicht einmal als Peinlichkeits-Wiedergutmachung für ihre Bush-Beichte.
Es war rückblickend einer der beschämendsten Momente meines Lebens. Einer der überflüssigsten auch. Am nächsten Morgen waren unsere schönen Badetücher auf den Liegen direkt am Wasser weg. Auf den Liegen lagen nun Menschen, die glücklich aussahen. Sie sprachen eine fremde Sprache, eine merkwürdige Sprache. Kein Englisch, kein Spanisch, kein Französisch. Kein Deutsch und irgendwie doch.
Auf den Liegen lagen Österreicher.
»Wie viele Tage hat das Jahr?«
Gutes Fernsehen, schlechtes Fernsehen
Unser Fernseher wog ungefähr eine halbe Tonne. Wir hatten das Gerät japanischer Herkunft gebraucht erstanden und transportierten es fünf Tage nach unserer Einreise mit einem kleinen Leihwagen aus Manhattan in unsere kleine Stadt. Die halbe Tonne Fernseher ruhte zur Hälfte auf dem Oberschenkel der Frau, die auf dem Rücksitz saß, den Apparat umklammerte und in jeder Kurve jämmerliche Geräusche von sich gab, weil eine halbe Tonne Fernseher plus G-Kräfte in Kurven anscheinend unangenehm sein können. Ich wählte den schnellsten, aber leider auch kurvenreichsten Weg nach Hause, und endlich daheim, präsentierte die Frau ein hübsches Schnittmuster auf ihrem Oberschenkel.
Seit diesem Tag fährt die Frau.
Wir wuchteten den Fernseher unter Aufbietung aller Kräfte ins noch möbelfreie Wohnzimmer, und dort stand das Trumm tagelang und ziemlich einsam. Er sah irgendwie bedrohlich aus. Der Apparat begleitete uns durch sechs lange Jahre, in guten wie in schlechten Zeiten. Zunächst in schlechten. Denn das Gerät wurde ausgerechnet am 11. September 2001 angeschlossen. Am Nachmittag dieses Tages kam Kim von der Firma »Cablevision«. Kim war zwar eine Frau, aber mindestens so kräftig wie unsere drei Möbelpacker. Sie stemmte die Kiste ganz allein und nicht einmal unter Aufbietung aller ihrer Kräfte auf einen Fernsehtisch, stellte einen kleinen Kasten des Kabelanbieters darauf, stöpselte hier und da, und die ersten Bilder, die der Apparat ausschied, zeigten den Bürgermeister Rudolph Giuliani, wie er durch die rauchenden Trümmer und die Staubwüste von Downtown stapfte. Das waren die schlechten Zeiten, es konnte nur noch besser werden.
Und es wurde besser.
Wir haben circa eine halbe Million Kanäle, die die Wunderbox in
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