Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Francisco brauchte, um Tochter zwei vor einem Briefkasten in der Union Street zu erwischen.
Die Fahrt von Los Angeles nach San Francisco zählte unabhängig vom Magen-Darm-Virus zu den eher anstrengenden, denn damals wollten die Töchter ständig unterhalten werden, »erzählt mal lustige Geschichten aus eurer Kindheit«, und hatten außerdem noch keinen rechten Blick für die Schönheit des Landes entwickelt. Wir hielten an berückend schönen Stellen mit Aussicht über den Pazifik, am Big Sur etwa, aber jedes verdammte Eichhörnchen oder Erdhörnchen oder Streifenhörnchen, »look, how cuuute«, war ihnen im Zweifel wichtiger als berückend schöne Ecken und der Pazifik. Das galt speziell für die ältere Tochter, die damals ihren Plan, Tierärztin zu werden, noch nicht verworfen hatte. An einem Abend irgendwo zwischen Los Angeles und San Francisco sprach der Mann zur Frau: »Was wir hier machen ist Perlen vor die Säue werfen«, worauf die Frau etwas gereizt reagierte, »deine Töchter mit Säuen zu vergleichen ist eine Sauerei«. Ein kleinerer Streit von einer Stunde entspann sich darüber, ob die Töchter schon reif genug seien für die Westküste und erst recht reif für die Insel, Kauai, weil, wie ich ausführte, ein solcher Urlaub ein kleines Vermögen koste. Ich dozierte über Demut und darüber, dass für mich als Kind zwei Wochen Langeoog das Höchste der Gefühle gewesen seien und wir vielleicht behutsam mit Vermont oder Rhode Island oder der Jersey Shore hätten beginnen sollen und nicht gleich mit … aber dann unterbrach mich die Frau und sprach: »In Amerika gibt's eben kein Langeoog.«
Ein paar Tage später kamen wir an auf Kauai, dem amerikanischen Äquivalent von Langeoog. Die Töchter des Hauses waren sehr aufgeregt, nicht wegen Hawaii, sondern wegen, nun ja, der Hühner. Überall sind Hühner auf Kauai. Haushühner, Wildhühner, Blesshühner. Auf den Straßen, in 2000 Meter Höhe am Rande der Vulkane, am Strand, an den Wasserfällen -Hühner, freilaufende Hühner. Ein Mann aus Oklahoma schrieb ins Gästebuch unseres kleinen Hotels: »Die Insel ist ein Traum, mein schönster Traum. Alles war ein Traum. Aber die Hühner. Punkt vier Uhr morgens krähte der Hahn. Eine Woche lang. Punkt vier. Kauai war ein Traum. Aber jetzt bin ich müde. Aloha.«
So ging das los.
Wir waren gewarnt und wurden erst mal enttäuscht. Kein Hahnenschrei morgens um vier. Nichts als absolute Ruhe. Vielleicht tickten und pickten selbst die Hühner auf Kauai irgendwie anders als die in Kalifornien oder Iowa oder Langeoog, die bestimmt morgens um vier Uhr krähen. Aber auf Kauai gehen die Uhren anders, langsamer. Die Zeitung heißt »The Garden Island« und berichtet über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens – Kanurennen, Wettkämpfe der Strandwächter, Surfen und immer wieder das Wetter: Sonne, Lufttemperatur 26 Grad, Wassertemperatur 24 Grad, leichter Wind, ein paar Tropfen Regen. Tagein, tagaus. Seit fünf Millionen Jahren ist das da so. Über George W. Bush stand keine Zeile in der Zeitung.
Wir waren begeistert.
Touristen, schrieb der Hawaii-Liebhaber und Buchautor Andrew Doughty, seien auf der Insel schon insofern leicht zu identifizieren, weil die ständig mit offenem Mund umherhefen und ihnen vor Verzückung der Sabber aus dem Mund triefe. Das deckte sich mit unseren Erfahrungen. Und mein anfänglicher Groll wegen Demut-Mangels verflog, weil die Töchter ganz schnell begriffen, dass das wirklich »the vacation of a lifetime«, der Urlaub ihres Lebens war. Wir schnorchelten an einem Strand, der Poipu Beach hieß, und sahen bunte Fische, die drollige Namen trugen wie Kihikihi, Humuhumu oder Aweoweo. Abends aßen wir Fische, die Opakapaka hießen, aber besser schmeckten. Wir fuhren mit dem Auto die Küste entlang von Hanapepe bis Hanalei, und die Töchter des Hauses fragten nicht einmal: ».Wann sind wir da?«. Sie waren, ein Wunder, über Nacht reif für die Insel geworden. Am Straßenrand standen Einheimische, die winkten. Ich sprach zur Frau: »Gleich kommt bestimmt eine Radarkontrolle«, aber es kam keine Radarkontrolle. Es kamen stattdessen weitere Einheimische, die winkten. »Entweder sind die alle glücklich oder alle high«, sagte die Frau.
Uns wurde schnell klar, dass dieses ewige Lächeln auf den Gesichtem der Einheimischen kein genetischer Defekt ist und sie auch nicht high sein müssen, um glücklich zu sein. Auf Kauai lachen ja sogar die Hühner, die nach dem verheerenden Hurrikan »Iniki« 1992
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