Stars & Stripes und Streifenhörnchen
sie nicht scheint und es regnet oder schneit, ist das auch keine Frage von Tagen oder Wochen wie in Oer-Erkenschwick oder Hamburg, sondern eher von Stunden.
Früher in Hamburg war es so, dass wir uns über jeden nieselregenfreien Tag ungemein freuten und schon mal Ende März grillten in dem Glauben, dieser nieselregenfreie Tag sei der Hamburger Sommer gewesen. Was falsch war. Es gab dann Ende Juni noch einen nieselregenfreien Tag. Wir gehörten zu jener Spezies Mensch, die selbst bei 15 Grad und Nieselregen tapfer ins Freibad trabte. Und die Frau, aufgewachsen in London, der Hauptstadt des Nieselregens, sprach gerne den – neben »Draußen nur Kännchen« – deutschesten aller Sätze: »Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung.«
Diesen Satz hat sie in Amerika nicht einmal benutzt. Wir hätten nie geglaubt, dass uns das Wetter jemals so beeinflussen würde. Wenn tropfnasse Freunde, Verwandte, Bekannte, Kollegen aus Deutschland anriefen und sich heiser nach dem Wetter erkundigten, griff die Frau aus Mitleid schon mal zu Notlügen, »och, für morgen haben sie Schauer angesagt«, selbst wenn das gar nicht stimmte und wir sogar im Oktober noch 25 Grad hatten. Einmal hatten wir sogar im Januar 22 Grad, aber das war uns – Global Warming – dann doch unheimlich und fast peinlich.
Am Wetter wie an Gott kommt niemand vorbei in Amerika. Ganze Berufskarrieren gehen zurück aufs Wetter. Vor allem natürlich im amerikanischen Fernsehen, wo Nachwuchsreporterinnen zu Beginn ihrer Laufbahn Hochs und Tiefs verlesen und darauf hoffen, aufzusteigen mindestens zum »Money-Honey«, um fortan Hochs und Tiefs an der Wall Street zu verlesen. Das Wetter ist ein prima Sprungbrett. Der Hurrikan »Katrina« spülte einen New Yorker Dandy vors CNN-Mikrofon, der sehr telegen weinen kann und aussieht wie Schwiegermutters Liebling. Anderson Cooper ist nun ein Star in Amerika. Er steht bei jedem Sturm und bei jedem Stürmchen im Wind, er ist überall und zwar gleichzeitig. Er ist wie Genscher früher. Wenn Anderson Cooper gerade nicht auf CNN sabbelt, wird er garantiert auf irgendeinem anderen Kanal darüber interviewt, wie es ist, Anderson Cooper zu sein.
Überhaupt setzte »Katrina« neue Maßstäbe – leider auch journalistische. CNN ist seither in den USA zu einem Wettersender degeneriert. Sie berichten ausführlichst noch über jeden Sturm im Wasserglas, zumindest in Amerika. Vergleichbare Stürme in beispielsweise Mexiko oder Guatemala interessieren weniger. »Katrina« war fraglos eine Katastrophe, aber wie geschaffen fürs Fernsehen. Als wenige Wochen nach »Katrina« der Sturm »Rita« erwartet wurde, schaukelten sie sich in der Sendezentrale in Horrorszenario-Höchstform, und die Sendungen liefen unter dem Rubrum »State of Emergency«. Sie hofften wohl insgeheim auf »Katrina II«, durften das aber nicht sagen. Nur war »Rita« nicht annähernd so verheerend wie »Katrina«, und in ihrer Not postierten die CNN-Leute einen Reporter in einen Windtunnel, und ein anderer stand im Windschatten eines Hotels in Beaumont, Texas, und zeigte unentwegt auf einen wackelnden Baum, und seine Stimme überschlug sich, als sich endlich, endlich, eine Wasserpfütze kräuselte.
Beim Wetter können, dürfen, müssen eben alle mitreden. Selbst wir. Deshalb nun ein kurzer Wetterabriss fürs ganze Jahr:
Der Winter hier ist noch ein richtiger Winter mit Temperaturen weit unter null, weshalb bei uns eben gerne die Rohre platzen. Der Sommer ist ein richtiger Sommer mit viel Sonne und Temperaturen weit über dreißig, was für den Mann nur von zweifelhaftem Vergnügen ist, weil er eine unverkennbare Tendenz zur Rothaut besitzt, mithin schnell verbrennt und eine Spur wie eine Python nach ihrem Häutungsritual hinterlässt. Der Herbst ist bunt und klar, und man wünschte sich, es wäre immer Herbst, weil man solche Herbste nie erlebte in Hamburg oder Oer-Erkenschwick. Der Frühling in Amerika schließlich kommt dem deutschen Durchschnittssommer sehr nahe: nass, kalt, ungemütlich, zuweilen Schnee wie auf dem Feldberg. Andererseits dauert der Frühling auch nie lange; er ist, dolle Erfindung der hiesigen Wettermacher, gewissermaßen der fließende Übergang vom Winter in den Sommer.
Auf das Wetter ist Verlass.
So viel zu den Vorteilen des hiesigen Wetters.
Dummerweise ist aber auch auf Unwetter Verlass in diesem Land. Man kann die Uhr nach ihnen stellen. Manchmal unterbrechen sie im Fernsehen laufende Sendungen, und ein tiefer
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