Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Häppchen und Leckerbissen, und die Töchter saßen fortan stundenlang vor dem Kasten und schauten den langweiligen Fischen zu.
Niblet und Tidbit waren die ersten Haustiere in der Karriere unserer Sippe, abgesehen von halbtoten Tauben, die die Ältere im Garten fand und bis zum Ableben krankenpflegte. Aber trotz der Fürsorge der Töchter hielten es die Fische nicht lange bei uns aus. Kurz nach Weihnachten trieben beide kieloben, weil sie – wie wir rekonstruierten – im Aquarium am Fenster langsam gekocht wurden. Es gab Tränen über Tränen, beide Töchter schrieben Abschiedsbriefe an die Tiere, und abends hielten wir Familienrat. »Fische gehören sowieso ins Meer oder auf den Teller«, sagte ich, und wieder gab's Tränen und einen bösen Blick der Frau, und danach hielt ich einfach den Mund. Die Kinder, so viel war klar, wollten unbedingt ein Tier, und aus dieser Nummer kamen wir nicht raus. Mir ging es fortan nur noch um Schadenbegrenzung: klein, unauffällig, leise, möglichst stubenrein, was den Kreis der möglichen Kandidaten schon erheblich einschränkte. Die Ältere, damals noch auf dem Tierarzt-Trip, wollte einen Hund, die Jüngere einen sprechenden Papagei, ich schlug einen Hamster vor. Zugegeben auch in der stillen Hoffnung, dass er ausbüchsen und durch puren Zufall unserer Nachbarskatze »Bad Cat« bei der Dinnersuche und als Abwechslung von der eintönigen Streifenhörnchen-Diät über den Weg laufen würde.
Die Frau überzeugte schließlich mit einer Kompromisslösung: »Wie wäre es mit einem Hasen?« Die Töchter akzeptierten sofort, und die Nachwuchs-Tierärztin hatte auch schon eine exakte Vorstellung, was für ein Hase das sein müsste, ein »German Lop«, eidesstattlich geprüft bereits bei einer Klassenkameradin, die im Besitz eines solchen Tieres war. Ich mochte den Hausfrieden nicht zusätzlich belasten und willigte ein, Hamster oder Hase einerlei, Hauptsache ruhig, und kaum acht Wochen später brachte ein Bekannter einen Käfig aus Deutschland mit, darin ein graues Knäuel hockte, ein Hase, groß wie ein Hamster damals. Die Töchter waren verzückt, »süüüüüüüüüüß«, die Frau auch, »ach, guck mal, wie niedlich«, und ich sagte nichts. Zum Thema Hasen oder Kaninchen wäre mir ohnehin nicht viel eingefallen, allenfalls Rezepte. Zu Weihnachten gab es bei uns zu Hause früher immer Hasenpfeffer, und ich mag auch alle Arten von Kaninchenragout, aber die pure Erwähnung solcher Delikatessen hätte strikten Liebesentzug der drei Frauen zur Folge gehabt. Ich weiß bis heute nicht, wofür Hasen und Kaninchen gut sind, bis auf Töchter glücklich machen. Mein Vorschlag, den »German Lop« Lenin oder wenigstens Schröder zu taufen, wurde mit 3:1 Stimmen abgebügelt, und aus Gründen, die uns allen entfallen sind, nannten wir ihn Rudi.
Rudi war und ist tatsächlich ein besonderer Hase, wie mir die ältere Tochter glaubhaft versicherte. Er kann ein Ohr hängen lassen und das andere steil in die Luft stellen. In solchen Momenten erinnert Rudi an einen Lotsen auf dem Rollfeld, der Flugzeuge ans Gate winkt. Außerdem kann man Rudi auf den Rücken legen und wie ein Baby durchs Haus tragen,- er geht freiwillig in die Demutshaltung und schließt sofort die Augen, was nicht unbedingt für seine Intelligenz spricht, aber in der Tat ganz putzig ausschaut und einen prima Vorführeffekt bei Gästen hat. Rudi war als Hasenbaby von seiner Mutter ausgestoßen worden, und der Züchter hatte sich seiner angenommen und ihn auf dem Rücken liegend transportiert, und daran fand das Tier Gefallen. Des Weiteren brachten ihm die Töchter kleine Kunststücke bei. Als die ältere einmal unter Grippe litt und im Bett lag, band sie Rudi ein Brieflein ans Ohr, »Mama, kannst du mir Tee bringen?«, und der Hase apportierte die Nachricht brav in die Küche.
Genau genommen haben wir sehr viele Haustiere. Sommers flattern gelegentlich Fledermäuse durch den Schornstein ins Haus; Feldmäuse sind zuweilen auch da und Eichhörnchen und Streifenhörnchen sowieso. Um ungebetenen Besuch kümmert sich alle paar Monate Mr. Higgins von der Firma »Terminix«. Mr. Higgins rückt mit einem weißen Truck an, schnallt sich eine Flasche auf den Rücken, als würde er tauchen gehen, setzt sich eine Maske auf und steigt hinab in die Untiefen unseres Kellers in den Stützpfeilerwald mit dem Kabelsalat, wo er die Flasche sprühend entleert. In amerikanischen Holzhäusern, in alten zumal, nisten nämlich gern Holzwürmer oder
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