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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Brummton setzt ein – danach wird eingeblendet, wann genau ein Sturm über unsere kleine Stadt zieht, und das tut er dann meistens auf die Sekunde genau. Früher in Deutschland hätten wir uns um Stürme und Regen nicht geschert. Aber in Amerika ist das anders. Sturm ist schlecht, ganz schlecht. Das wussten wir nicht, als wir aus der norddeutschen Tiefdruckebene an die amerikanische Ostküste zogen. Wir waren ziemlich naiv.
    Wenn sich nun so ein Tiefdruckgebiet der Ostküste nähert, machen die Wetteransager im Fernsehen ein besorgtes Gesicht. Unser lokaler Wettermann heißt Joe Rayo vom Kanal 12. Rayo muss sein Leben lang lokaler Wettermann gewesen sein; er ist geschätzte Mitte fünfzig und hat es nie bis zum »Money-Honey« geschafft. Vielleicht liegt es daran, dass Joe so ausschaut, als habe er früher für den Windkanal moderiert. Sein Grauhaar sitzt etwas schief auf einem auch leicht schiefen Gesicht, und es kann sogar sein, dass es gar kein echtes Grauhaar ist. Jener Joe jedenfalls zeigte während unseres ersten Winters mit dem Zeigefinger bedeutungsvoll auf eine grüne, rotierende Masse, die sich unserer kleinen Stadt näherte, und er sagte mit bekümmertem Ton: »Folks, it's a BLIZZARD!«. Blizzard hört sich allemal imposanter an als das deutsche Pendant »vereinzelter Schneefall«, obschon oft ein und dasselbe. Man muss dazu wissen: Schnee ist immer gleich »BLIZZARD !« und wenigstens »Snow-Storm« in den USA. Amerikaner lieben nämlich Superlative und Übertreibungen. Was auch erklärt, warum sie zuweilen harmlose Aluminiumrohre für Massenvernichtungswaffen halten und fremde Länder überfallen.
    Das Problem mit dem Schnee in Amerika ist nicht der Schnee. Das Problem ist: Sobald die ersten Flocken fallen oder Joe Rayo oder Anderson Cooper oder sonstwer im Fernsehen davon redet, steigen unsere Mitbürger in ihre Autos, eilen zum nächstbesten Supermarkt und kaufen Wasser und Konservendosen in solchen Mengen, als gäbe es kein Morgen mehr. Wir wunderten uns anfangs auch über David und Myra, unsere lieben Anrainer zur Linken, vernünftige Menschen an sich. Aber kaum erwähnt auch nur jemand »snow«, neigen auch sie zur Hysterie und zum Hamstern. Was haben wir gelacht im ersten Jahr, »die spinnen, die Amis«.
    Wir lachen nicht mehr.
    Denn wenn endlich Schnee fällt, knicken die Strommasten, und dann wird es dunkel und kalt, und deshalb, nur deshalb eilen die Amerikaner selbst bei der zartesten Andeutung von Schnee, »BLIZZARD!!!«, in den Supermarkt und kaufen ein für den Weltuntergang. Bei Stromausfall, »BLACKOUT«, funktionieren in den Geschäften die Kassen nicht mehr, und im Kopfrechnen sind die amerikanischen Kassierer keine Leuchten. Also machen die Geschäfte dicht. Bis der Strom wiederkommt.
    Was dauern kann. Das ist das Problem.
    Stromausfall, »BLACKOUT« durch Schnee, »BLIZZARD!!!« kann durchaus etwas Romantisches haben. Kann. Muss aber nicht. Unsere erste Weihnacht in der Neuen Welt war weiß und stromfrei. Wir saßen bei Kerzenschein beisammen über halbgarer Gans und fühlten uns anfangs ganz furchtbar romantisch, »ist es nicht schön?« Draußen rieselte der Schnee, und drinnen wurde es langsam kalt, und irgendwann fluchte man auf die ganze Romantik und die blöde Gans, halbgar, und die Kerzen und schickte Stoßgebete gen Schneewolkenhimmel – »Herr, erleuchte uns«, aber es wurde kein Licht.
    So viel zu den Nachteilen des hiesigen Wetters.
    Wir waren furchtbar blauäugig am Anfang, begriffen aber flott, warum uns von der Schule eine »Snow-Emergency«-Liste ausgehändigt wurde, eine Telefonketten-Aufstellung. Wenn Schnee fiel, »BLIZZARD!«, klingelte morgens um kurz nach sechs, noch ehe der gefolterte Hahn krähen konnte, das Telefon – schulfrei. Wenn in diesem Land auf irgendwas Verlass ist, dann auf den Sturm. Meistens jedenfalls.
    Nur einmal war kein Verlass auf den Sturm. Er kam überraschend und unangemeldet und ohne Warnung. Vermutlich hatte Joe Rayo vom Windkanal auch nur seinen freien Tag. Der Sturm kam morgens und erwischte meinen Freund, den Baum. Er fiel morgens um neun. Der Baum war eine sehr alte und sehr große Kiefer, und an sich würde man vermuten, dass alte und große Kiefern nicht so leicht umfallen, selbst bei Stürmen mit Windböen um die 100 Stundenkilometer. Nicht mal Bäume können sie hier bauen.
    Die Zeit der Stürme war eigentlich vorüber an der Ostküste, aber auf die Natur, Global Warming, ist eben auch kein Verlass mehr, und also stürmte es, und

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