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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Bäume kippten, und die Strommasten knickten, und Telefonleitungen krachten, und unsere notdürftige Gummigarage neben dem Haus drohte wegzufliegen bis mindestens nach Connecticut. Weshalb die Frau den Wagen flott auf eine Querverstrebung fahren wollte, aber er sprang nicht an; auf Autos ist auch kein Verlass mehr. Zündung hin, Batterie leer, 700 Dollar.
    Ein Unglück kommt selten allein.
    Unsere Freunde meldeten sich nachmittags um vier, kein Strom. Ob sie vielleicht vorbeikommen und sich etwas aufwärmen könnten. »Natürlich!!!«, rief die Frau des Hauses. Es war Mitte Januar, es war kalt. Unsere Freunde kamen danach jeden Abend, weil über Tage hinweg kein Strom daheim, und bei uns sah es ein bisschen aus wie in den Notunterkünften von New Orleans. Wir wissen jetzt sehr genau, was stromern bedeutet. Stromern ist die Suche nach Strom.
    Strom in den USA ist ohnehin eine vertrackte Sache. Die Arbeiter unseres örtlichen Stromlieferanten Con Edison sind sämtlichst in der Gewerkschaft organisiert, wogegen per se nichts zu sagen wäre. Die Gewerkschaft aber hat ausgehandelt, dass ihre Leute an Wochenenden doppelten Lohn bekommen. Was selbstverständlich dazu führt, dass lediglich an Wochenenden gearbeitet wird. Vor dem Haus unserer Freunde stand tagelang ein Jeep von Con Edison, und darin saß ein einsamer Mensch und las Zeitung oder schlief. Nichts gegen Zeitunglesen und Schlafen während der Arbeitszeit. Aber die 40 000 stromlosen Menschen in unserer Gegend brachten entschieden weniger Sympathie für die Wagenschläfer auf. Und die Sympathie sank stündlich.
    Donnerstags, zwei Tage nach dem Sturm, begab ich mich in einen kleinen Kaffeeladen. In dem Shop stand ein Mann von Con Edison und schlabberte Kaffee. Er ähnelte George W. Bush. Er lächelte genauso blöd wie der Präsident, er stand genauso breitbeinig wie der Präsident. Ich kam dennoch ins Gespräch mit ihm und sagte: »Du musst ja ordentlich beschäftigt sein.« Aber der Con-Edison-Bush war bereits seit zwei Stunden in dem Kaffeeladen, und er flötete: »Nö, eigentlich nicht«. Draußen lagen Strommasten auf der Straße, aber der Kerl war die Ruhe selbst wie George W., als New Orleans absoff. »Ab Samstag«, sagte er schließlich, »ab Samstag wird's wieder richtig hart.« In diesem Moment hätte ich ihm am liebsten eine gelangt oder ihm wenigstens den Schlabberkaffee ins Gesicht gegossen, aber stattdessen sagte ich »have a nice day« und ließ die Faust in der Tasche und stieg draußen vorsichtig über züngelnde Stromkabel.
    Unsere lieben, stromlosen Freunde kamen schließlich auch morgens zum Duschen, zwei Erwachsene, zwei Kinder, ein Hund. Nach dem Duschen gab es ein reichhaltiges Frühstück, dann ging jeder seines Weges. Abends trafen wir uns wieder zum Essen. Die Frau kochte inzwischen ganze Kessel, und mich hätte es nicht gewundert, wenn Wäscheleinen quer durchs Wohnzimmer gelaufen wären oder Hühner. Kinder kreischten, der Fernseher lief, Bush hielt eine Rede über Terrorismus. Er sah aus wie der Con-Edison-Mann. Zuweilen wünschte ich mir Stromausfall.
    Die Frau war dagegen immer sehr freundlich. Sie sagte Dinge wie: »Stell dir vor, wir hätten keinen Strom, dann müssten wir auch zu Freunden.« Oder sie sagte: »Stell dir vor, der Baum wäre nicht auf die Einfahrt, sondern aufs Haus gefallen.« Und dass überhaupt alles viel, viel schlimmer hätte kommen können, Mann unterm Baum zum Beispiel. Bei Licht betrachtet, falls vorhanden, lag sie nicht einmal falsch. Denn wenn die Telefone nicht funktionieren, können die Spähtrupps der US-Regierung auch keine arglosen Bürger abhören. Das machen sie nämlich gern seit dem 11. September auf der Hatz nach Verdächtigen, und verdächtig ist erst mal jeder. Sie lauschen und lauschen und lauschen, und die Hälfte der Amerikaner meint, das sei in Ordnung, und folgt damit der unnachahmlichen Logik ihres Präsidenten, der sprach: »Wenn ein Terrorist in den USA anruft, möchten wir wissen, wen er anruft.«
    Die andere Hälfte der Amerikaner fragt sich, warum so ein Terrorist überhaupt in Amerika anrufen kann und nicht im Knast sitzt, wenn die Agenten doch seine Telefonnummer kennen. Millionen von Telefonaten wurden und werden abgehört und analysiert, und das FBI beklagte sich, dass sie in Arbeit ersticken und viele der verdächtigen Telefonnummern zu ordinären Pizzabuden gehörten.
    Unser Sturm brachte den überlasteten Spähern der Bush-Regierung immerhin eine Terz Entspannung – kein Strom,

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