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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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George W. Bush.
    Der Weihnachtskrieg ist natürlich nur ein Hirngespinst. Maßgeblich betreibt diese Torheit ein rechtslastiger Fernsehmoderator namens Bill O'Reilly, der auf dem nicht minder rechtslastigen Nachrichtensender »Fox News« jeden Abend zwischen acht und neun wettert; vorzugsweise gegen Liberale und die Medien und am liebsten gegen liberale Medien. O'Reilly fühlt sich als Gralshüter von Moral und Anstand.
    Und nicht nur zur Weihnachtszeit.
    Schon deshalb freuten Frau und Mann sich sehr, als Tonbandmitschnitte auftauchten, aufgezeichnet von einer seiner Mitarbeiterinnen. Auf diesen Bändern hört man Herrn O'Reilly wonnige Dinge sagen, die gar nichts mit Moral oder Anstand und Weihnachten zu tun haben, aber viel mit Massagen und Brüsten und Nippeln und Sexspielzeugen, solchen Dingen halt. Die beiden einigten sich außergerichtlich, und kurz darauf schrieb O'Reilly ein Kinderbuch und wütete wieder gegen Weihnachtsfeinde.
    Es dauerte ein Weilchen, bis wir uns an den jährlichen Weihnachtskrieg gewöhnt hatten. Die ältere Tochter konnte Herrn O'Reillys Tiraden nach ein paar Jahren sogar eine gewisse Komik abgewinnen. Sie glaubte zeitweilig, er mache Witze. Aber Weihnachten kann in Amerika alles andere als witzig sein. Weihnachten ist genau wie Einkäufen eine ernste Sache. Im Dörfchen St. Albans in West Virginia beispielsweise stand eine putzige Krippe mit Hirten, Kamelen, Palmen und dem Weihnachtsstern. Jesus, Maria und Joseph allerdings fehlten, es war wie Fußball ohne Ball. Die Figuren verstießen nach Ansicht der Stadtväter gegen die Trennung von Kirche und Staat.
    Die Flughafenverwaltung von Seattle ließ mal Weihnachtsbäume aus den Terminals entfernen, weil ihr das Gerücht zu Ohren gekommen war, dass orthodoxe Juden dagegen klagen könnten. Statt nun die orthodoxen Juden zu fragen, ob das denn stimmt, verschwanden die Weihnachtsbäume. Worauf sich wiederum die orthodoxen Juden beschwerten, »wir wollen die Bäume zurück«. Danach leuchteten sie wieder.
    Das alles ist natürlich kein Weihnachtskrieg, sondern falsch verstandene politische Korrektheit. Falls überhaupt so etwas existiert wie Weihnachtskrieg, tobt der bei uns zu Hause. Das war schon in Deutschland so und wurde in Amerika nicht besser. Pünktlich zum Fest herrscht bei uns stets Diskurs über einen passenden Weihnachtsbaum. Glücklicherweise verließen beide Töchter schnell die Phase, da sie sich einen faltbaren Plastikbaum wünschten, der, das muss man sagen, allerdings einen entscheidenden Vorzug im Vergleich zum Naturmodell hat. Plastikbäume stehen gerade, kerzengerade. Unser Baum dagegen steht entweder immer schief oder leidet unter Rückgratverkrümmung. JEDES JAHR. Auch das war schon in Deutschland so. Da ich, wie bereits erwähnt, ein ausgewiesener Tölpel bin, gerät das ordnungsgemäße Aufstellen einer Nordmanntanne zu einem Spektakel. Steht der Baum endlich, bedeutet das nicht, dass er auch stehen bleibt. Dreimal stürzte ein schon komplett geschmückter, rückgratverkrümmter Weihnachtsbaum auf mich, und Kugeln gingen zu Bruch und häuslicher Friede. Die Frau steht kerzengerade und kopfschüttelnd daneben und sagt schon seit Jahren nichts mehr dazu. Und die Töchter betrachten das vorweihnachtliche Desaster traditionell vom Sofa und sicherer Entfernung aus mit ihrem Opa mütterlicherseits, der uns jedes Jahr zu Weihnachten besucht und das Schauspiel ebenso fasziniert verfolgt. Einmal wollte die jüngere sogar ihre beste Freundin zum Weihnachtsbaum-Aufstellen einladen, »it's soooo much fun to watch Dad«.
    Das ist noch so ein Ritual bei uns.
    Andere Rituale kamen in unserer neuen Heimat hinzu. Es fing ganz harmlos an im zweiten Jahr und kurz vor Thanksgiving. Die Frau sprach: »Unsere Lichterketten für den Weihnachtsbaum funktionieren nicht in Amerika. Ich muss neue kaufen.« Kein Einspruch. Sie kaufte eine neue Lichterkette für den Baum, und dann puhlte sie noch was aus der Einkaufstüte und sagte: »Diese hier sind fürs Dach. 3,95 Dollar, günstig, oder?« Ich sagte nichts. Dann sprach die Frau: »Die Kinder wünschen sich, dass wir auch mal so eine Lichterkette ans Dach klemmen. Das machen alle hier in Amerika.« Ich sagte: »Und weil das alle machen, müssen wir das auch machen?« Es folgte ein kleiner Vortrag über Gruppendruck und Nachbarn und Amerika an sich, das Land der Stromvernichter. Aber all das hörte die Frau nicht mehr, weil vertieft in Instruktionen, wie man Lichter an Dächer nagelt. So kam die

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