Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Lichterkette ans Dach.
Und nicht nur zur Weihnachtszeit.
Denn als sie einmal hing, hing sie da nicht nur im Winter, sie hing auch im Frühling und im Sommer. Im Spätsommer fragte man zaghaft: »Sollen wir nicht irgendwann die Dinger abnehmen«, und die Frau antwortete: »Lohnt sich doch gar nicht mehr.« So hing die Lichterkette ein geschlagenes Jahr an unserem Dach.
Man dachte, es könne nicht schlimmer kommen, und täuschte sich. Amerikaner und Kinder haben nämlich ein riesengroßes Herz für Tiere, vor allem für beleuchtete Plastiktiere. Die Vorgärten hier sehen von Ende November an so aus wie Zoos: Rentiere, Elche, Hasen, Mäuse, Kamele, Esel, Kühe. Manchmal blinkt auch ein Plastik-Jesus mittendrin. Unsere Töchter lieben diese Zoos. Man ahnte damals Schlimmes und sprach prophylaktisch ein Machtwort: »Leuchtende Tiere kommen mir nicht ins Haus. Eher lasse ich mich scheiden.« Es war ein mächtiger Satz. Scheidung durch Rentier. Der Satz stand wie in Schnee gepinkelt.
Es muss im August gewesen sein, die Lichterkette draußen hing nun schon im zweiten Jahr, als die Frau sprach: »Stell dir vor, ich habe ein Rentier gesehen, 38 Dollar 95.« Eisiges Schweigen. Sie sagte das dreimal an diesem Abend, und wie sehr sich die Kinder ein leuchtendes Rentier wünschen würden, weil das alle hier haben. Im Fernsehen lief gerade eine spannende Sendung, und ich wollte meine Ruhe haben und nichts mehr hören von Rentieren und auch keinen weiteren Vortrag halten über Stromvernichter. Ich murmelte: »Schon gut.«
24 Stunden später stand ein Rentier, 38 Dollar 95, auf der Terrasse, und als die kleinere Tochter das Viech sah, rief sie erschüttert: »Jetzt lässt sich Papa scheiden.« Aber Weihnachten ist das Fest der Liebe, also kam das Rentier in unseren Garten. Es ist ein dezentes Leuchtrentier. Wenn man sich ganz doll Mühe gibt, sieht man es kaum. Die größere Tochter sagte: »Es wirkt irgendwie einsam, finde ich.« Die Frau sagte: »Es gibt noch größere, und die bewegen sich richtig.« Die kleinere Tochter sagte: »Und es gibt welche mit ganz vielen bunten Lämpchen, und die machen sogar Geräusche.« Es war definitiv wieder Zeit für ein Machtwort: »Spätestens im Juni kommt es in den Keller.« Das Rentier stand drei Jahre in unserem Garten. Und nicht nur zur Weihnachtszeit.
Horizontal herausgefordert
Essen, fressen und letztes Abendmahl
Amerikaner waren einmal die längsten Menschen auf dem Planeten. Heute sind das die Holländer. Soziologen behaupten, dass die Länge der Menschen in direkter Korrelation zum Wohlbefinden steht, was den Spruch »je länger, desto besser« wissenschaftlich fundamentiert. Amerikaner nun schießen nicht mehr in die Höhe, sondern in die Breite, und was das zu bedeuten hat, haben die Soziologen meines Wissens nach noch nicht erforscht. Gutes kann das nicht bedeuten. Aus eigener Anschauung und jahrelangem Selbstversuch können wir immerhin nachvollziehen, warum das so ist.
Der allererste gemeinsame Restaurantbesuch in den USA endete gleich mit einem kleinen Unglück. Es war am Tag unserer Ankunft, und die Töchter hatten Hunger, weshalb wir uns in ein italienisches Speiselokal begaben. Es lag an einer Ausfallstraße und hieß »Eclisse«. Viele alte Menschen saßen darin an runden Tischen, und das Ambiente, Plüsch und blumendekorierte Tapeten, erinnerte in der Tat an einen Speisesaal im Altersheim. Wir bestellten vier Pizzen und mussten feststellen, dass eine Pizza eine Kleinfamilie mehr als ernähren kann. Unglückseligerweise korrespondierte das blumige Interieur geschmacklich kongenial mit den Pizzen. Die jüngere Tochter, vom Zeitunterschied überwältigt, platschte nach drei Bissen schlaftrunken mit der Stirn in eine Scheibe mit Käse, Oliven und Pilzen, die ältere nörgelte »die schmeckt anders als in Deutschland«, und nach einer halben Stunde brachen wir das Experiment »erster Restaurantbesuch« ab, verstauten drei unverdaute Pizzen in einem Doggy-bag, zahlten und trollten uns. Das »Eclisse« hat dicht gemacht. Wir vermuten, dass die Kundschaft einfach wegstarb.
Nach Jahren staunen wir immer noch über die Mengen, die amerikanische Menschen verputzen können. Neulich fragten wir einen Kellner erschüttert und gleichermaßen beeindruckt: »Hat diesen Spaghetti-Berg jemals ein Mensch komplett auf bekommen?« Er schaute verständnislos und sagte: »Vor zehn Minuten erst, der Herr dort hinten in der Ecke.« Der Herr dort hinten in der Ecke konnte stehend seine
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