Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Spanisch hielt. Aber die Idee zählte. Wir besuchten auch Gospelgottesdienste in Harlem, eine tief spirituelle und höchst empfehlenswerte Sangesveranstaltung mit eingebauter rhythmischer Klatsch-Gymnastik.
Das alles half sehr.
Die ältere Tochter wurde erfolgreich konfirmiert, die jüngere mit zwölf Jahren Verspätung getauft. Und beides, zur besonderen Freude der Frau, beides: in einem Aufwasch.
Scheidung durch Rentier
Thanksgiving, Kaufrausch und krumme Bäume
Jedes Jahr Ende November und kurz vor Thanksgiving läuft die Frau des Hauses zur Hochform auf. Sie kauft einen großen, unförmigen Vogel und verstaut ihn unter großen Schwierigkeiten im Kühlschrank. Thanksgiving ist das größte Fest in Amerika, wichtiger als Weihnachten, weil konfessionsübergreifend. Todd, Inhaber der »Liquor Pantry«, freut sich rund um Erntedank immer ganz besonders über die Frau, weil wir verlässlich das Haus voller Gäste mit europäischen Lebern haben und er dann das Geschäft des Jahres macht.
Das ist ein Ritual.
Thanksgiving ist ohnehin ein Fest der Rituale. Zwei Tage vor Thanksgiving schwebt stets ein großer, unförmiger Vogel mit dem LTU-Logo auf dem Schwanz ein in New York, darin Bettina sitzt, liebe Freundin aus Deutschland, nebenberufliche Hobby-Shopperin. Einen Tag vor Thanksgiving ist Gridlock-Day, Verkehrsinfarkt-Tag, weil Abermillionen Amerikaner auf dem Weg nach Hause zur Familie sind. Und der Präsident, selbst Bush, begnadigt rituell einen Truthahn.
Bei uns zu Hause werden keine Truthähne begnadigt. Bei uns ist vielmehr Ritual, dass wir uns rund um Thanksgiving regelmäßig streiten. Die Frau ist nämlich alle Jahre wieder nervös, ob der Truthahn auch für die vielen Gäste reicht, und neigt mitunter zum Erwerb eines Ersatz-Truthahns für den Fall der Fälle, der noch nie eingetreten ist, weil schon der Haupt-Truthahn im Laufe der Jahre immer größer wurde. Erst 15 Pfund, dann 17 Pfund, zuletzt 24 Pfund. Im allerersten Jahr machten wir den Fehler, Gans statt Truthahn zu braten, weil der Mann Gans irgendwie passender fand, aber 300 Millionen Amerikaner können nicht irren, und fortan kam Truthahn auf den Tisch, welchen die Frau nach einem Rezept aus dem Jahr 1780 zubereitet und ihn mit Mengen Bourbon übergießt und schwört, so stünde das in ihrem uralten Originalrezept, das sie vor Jahren aus einem deutschen (!) Magazin kopiert hatte. Jahr für Jahr schüttet sie mehr Bourbon über die immer größer werdenden Tiere, was Todd von der »Liquor Pantry« auch freut.
Am Tag der Tage will die Frau niemanden mehr in der Küche sehen, außer dem Haupt- und dem Ersatztruthahn, und wenn Anrufe kommen, hören wir sie aus der Küche schon mal ins Telefon sagen: »Ich kann jetzt schlecht, weil ich mit einer Hand hinten im Truthahn stecke«. Gegen halb fünf kommen die Gäste mit den europäischen Lebern, unser Rekord steht bei vierzehn, um fünf nach halb fünf kreisen die ersten Flaschen, um sieben wird das gigantische Tier aus dem Backofen geholt und rituell fotografiert. Das ist eine schöne Sitte, die fotodokumentarisch eindeutig beweist, dass unsere Truthähne über den Zeitraum von sechs Jahren die Größe kleinerer Ponys angenommen haben, aber vermutlich etwas besser schmecken. Das Verzehren des Tieres klappt im Übrigen verhältnismäßig zügig. Aber weil diese Vögel die Eigenart besitzen, trocken zu schmecken, müssen Brust oder Keule mit ordentlichen Mengen Alkoholika jedweder Art runtergespült werden. Noch so ein Ritual bei uns, das verlässlich zu unangenehmem Schädelbrummen führt am Tag danach, dem »Black Friday«, der in Amerika das Weihnachtsgeschäft einläutet.
Der »Black Friday« markiert im US-Handel den Übergang von roten in die schwarzen Zahlen. Wenigstens 20 Milliarden Dollar geben US-Bürger an diesem schwarzen Freitag aus, was dem Brutto-Inlandsprodukt der Republik von Georgien entspricht. Eigentlich ist der »Black Friday«, der Tag der Sonderangebote, der wahre Feiertag. Es gibt nämlich Amerikaner, die ihren Truthahn zum Leidwesen von Todd nicht mit Alkohol bekämpfen und stattdessen nächtens um drei vor Warenhäusern campieren und frühmorgens an den Türen rütteln wie weiland unsere lieben Mitbürger aus der Zone bei der Ausgabe des Begrüßungsgeldes vor westdeutschen Sparkassen. So weit ist es bei uns noch nicht. Aber die Frau und unsere liebe Freundin stürzen sich am Tag nach Thanksgiving und trotz brummender Schädel todesmutig und freiwillig in den
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