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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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zerschmetterten und Baseballschläger zerbrachen und Eisenstangen zerbogen und Telefonbücher zerrissen und Wärmflaschen so lange aufpusteten, bis die zerplatzten. Die 16 Mitglieder des Power-Teams kamen aus ganz Amerika, sie reisten in Gruppen zu viert und lebten von Spenden. Das war ihre Mission, ihr Kreuzzug. Einer von ihnen hieß Willie und nannte sich »menschlicher Frachtzug«. Willie schnappte sich einen Baseballschläger und brach ihn entzwei. »Dieser Baseballschläger«, sagte er, »repräsentiert die Arme Satans«. Das Böse, »the Evil«, sei überall, und der Auftrag sei zurückzugewinnen, »was uns das Böse genommen hat«. Danach rollte Willie noch eine Bratpfanne zusammen wie einen mexikanischen Burrito. Er hatte auch bei »Wetten, dass?« auftreten können.
    Die Töchter lauschten gespannt, und die Kleine fragte: »Gibt's denn nichts Nettes?«, und als sei ihr Flehen von einem höheren Wesen erhört worden, lief kurz drauf in den Radionachrichten als Spitzenmeldung, dass der landesweit bekannte Prediger Ted Haggard, Vorsteher der Megakirche »New Life Church« in Colorado, von seinen Ämtern zurückgetreten sei. Reverend Haggard war ein Prediger der alten Schule – er geiferte gegen Abtreibung, aber meistens wütete er gegen Schwule, »Sünde, Sünde, Sünde«. Ich hatte mehrmals versucht, den Reverend für ein Gespräch zu gewinnen, war aber im Vorzimmer stets an seiner Tochter Carolyn gescheitert, welche dem Europäer freundlich bedeutete, ihr Vater sei »busy, busy, busy«. Was wohl stimmte. Nun war der Reverend verpfiffen worden von einem Callboy, mit dem er – teile und gebe – Koks schnupfte und, Sünde, Sünde, Sünde, Sex hatte. Zwischen Gott und bigott liegen zuweilen nicht mal zwei Buchstaben. Mann und Frau lachten ausgiebig, und die Töchter schüttelten die Köpfe.
    Wir kamen gegen Ende noch in den schönen Bundesstaat Utah, Heimat der Heiligen der Letzten Tage, vulgo: Mormonen. Eine Religion, die praktischerweise auch in Amerika erfunden wurde vom Propheten Joseph Smith, der es im Laufe seines jäh durch Lynchjustiz beendeten Lebens auf stattliche 112 Offenbarungen brachte, weit mehr als die Hälfte davon ökonomisch-politischen Inhalts. Denn siehe: Mammon und Mormonen, das passt schon. Und weil die Heiligen der Letzten Tage nicht rauchen, nicht trinken und vorehelichem Sex entsagen, haben sie mehr Zeit fürs Wesentliche, nämlich für die Arbeit, und schufen ein immenses Imperium aus Banken, Krankenhäusern, Hotelketten und Ländereien und Farmen, Fernseh- und Radiostation. Aber das ist noch gar nichts, denn die Heiligen vermehren sich auch rege. Auf herkömmliche Weise und vermutlich via Missionarsstellung einerseits, weil traditionell lendenstark und pillenfeindlich. Und andererseits durch erstaunlichen Zulauf: Keine Religionsgruppierung wächst schneller auf dem Planeten.
    Also begaben wir uns in Salt Lake City zu einer Führung auf den Temple Square. Viele junge Missionare aus der ganzen Welt bevölkern den Platz, ein Dauerlächeln liegt auf ihren Gesichtem. Unsere Missionarin hieß Marisa, Amerikanerin, aus Colorado Springs. Marisa dozierte dauerlächelnd über den Propheten Smith, dem einst ein Engel erschien und der reklamierte, zehn Platten aus massivem Gold mit frischen göttlichen Weisungen in einem Waldstück in Upstate New York gefunden zu haben. Und Marisa sprach dauerlächelnd darüber, wie Jesus nach seiner Wiederauferstehung nach Amerika übergesetzt sei, der erste Immigrant mithin, und hierzulande die Indianer missionierte. Die ältere Tochter räusperte sich mehrmals, um einem Lachkrampf vorzubeugen, die jüngere rollte mit den Augen. Marisa fragte: »Noch Fragen?« Und prompt meldete sich die ältere mit einer Frage, die zugleich tief blicken ließ auf die binnenfamiliäre Diskussionskultur: »Jesus hat doch Wein aus Wasser gemacht, richtig? Warum dürft ihr dann keinen trinken?« Für einen Moment verschwand das Dauerlächeln aus Marisas Gesicht, aber dann fasste sie sich und antwortete: »Das war kein richtiger Wein, eher Traubensaft. Das musst du eher sinnbildlich begreifen.«
    Im Auto fragte sie: »Spinnen die?« Und die Frau des Hauses sagte: »Nun ja: Ja«. Insgesamt aber führte der theologische Sinnstiftungsexkurs trotz gesattelter Dinos und verbuddelter Goldplatten zu zufriedenstellenden Ergebnissen. Wir besuchten – Weihrauchallergie hin und her – die katholische Messe von Father Grange in der Bronx und verstanden leidlich wenig, weil er sie auf

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