Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Einkaufswahnsinn; es beginnt dann das, was die Amerikaner »shop till you drop« nennen, »kaufen bis zum Umfallen«, ein amerikanischer Volkssport zur Ankurbelung der Binnenwirtschaft. Die Frau hat leider irgendwann Gefallen gefunden an diesem Sport. Ich kann nicht mehr genau sagen, wann das war, vermute aber um die Weihnachtszeit herum. Sie sammelt seitdem Berge von Coupons für »Sales«, und »Sale« ist immer irgendwo, nicht nur zur Weihnachtszeit. Zuweilen protestiere ich zahm, aber meist erfolglos. Dem Mann ist einfach nicht eingängig, warum wir 36 Garderobenhaken brauchen, wenn wir nicht mal annähernd so viele Klamotten für die Haken besitzen. Aber die Haken waren on Sale, »buy ten, get two free«, und die Frau sagte: »Man weiß doch nie«, und sie seien außerdem überaus formschön und würden sich gegebenenfalls auch als Geschenk eignen. Ich kenne keinen Menschen auf diesem Planeten, der sich über Garderobenhaken ernsthaft freuen würde. Und gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, dass sie für den Fall eines unmittelbar bevorstehenden Atomkrieges einkauft. Aber braucht man Garderobenhaken nach dem nuklearen Holocaust?
Der Fairness halber sei erwähnt, dass amerikanische Läden schon qua Größe zum Kaufen verführen. Zumindest gilt das für leicht verführbare Frauen, also für alle. In unserer kleinen Stadt steht ein fensterloser Koloss von einem Warenhaus. Die Kette heißt »Costco« und ähnelt entfernt dem deutschen Pendant Metro, nur größer, viel größer. »Costco«, sagt die Frau, sei ideal für Familien, weshalb wir Costco-Mitglieder wurden. Bei »Costco« gibt es die Waren nur eimerweise, und ich vermag nicht zu beurteilen, ob das wirklich ideal für Familien ist, aber die Frau schwört auf »Costco« und die Niedrigpreise für 40 Rollen Klopapier und sechs Eimer Mayonnaise. Die 36 Garderobenhaken stammen natürlich auch von »Costco«. Ich meide den Laden.
Einkaufen ist für den Mann ohnehin eine Qual. Beim Einkäufen gibt es bei mir nur ein Kriterium: Geschwindigkeit. Je schneller, desto besser, desto weniger Qual. Die Frau ist bis heute erstaunt darüber, wie ich einmal in exakt acht Minuten einen Anzug kaufte, der mir sogar noch passte.
Bis zum Ende meiner Tage wird es mir ein Rätsel bleiben, warum Frauen gerne bummeln oder einkaufen. Tausende von deutschen Frauen sieht man in der Gleitzeit zwischen Thanksgiving und Weihnachten in New York, überall kölsche Tön oder Originalton Süd. Weil der Euro so günstig steht und Kleidung und Computer und Digitalkameras im Big Apple nur einen Appel und ein Ei kosten und Flug und Hotel sich bereits amortisieren durch den Erwerb von zwei Donna-Karan-Kostümen, drei Paar Timberland-Schuhen und lächerlichen zwölf iPods. Verdammt clever, denkt der Mann dann über seine Landsleute.
Bettinas Gatte, mit zwei Kindern zurückgelassen in Essen, rief gelegentlich an und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge. Er meinte selbstverständlich den Kontostand, und dann säuselte Bettina »Ach, Schatz«, und ihr Gatte wusste in diesem Moment, dass sich seine Frau sehr, sehr wohl fühlt in New York und alles gut ist. Bis auf den Kontostand. Nach eineinhalb Wochen Kaufrausch setzte sich Bettina wieder ins Flugzeug. Sie sagte, Einkäufen sei eine ernste Sache. Sie hatte der amerikanischen Wirtschaft nach Kräften geholfen und in neun Tagen 1600 Dollar ausgegeben, für Klamotten, Kinderklamotten, Weihnachtsdekoration, Elektro-Gebimse, allen möglichen Schnickschnack, den kein Mensch und auch keine Frau braucht, der aber relativ günstig ist. Ersparnis: 1600 Dollar im Vergleich zu Deutschland, wie sie sagt, hieß: Flug rausgeholt, Truthahn gegessen, Todd von der »Liquor Pantry« glücklich getrunken, alles bestens.
Nun ist Weihnachten das Fest der Liebe, und also verzeihen Männer auch eher. In Amerika ist Weihnachten darüber hinaus auch die Zeit der Absurditäten. Denn alle Jahre wieder bricht nach Thanksgiving und vor Weihnachten ein Krieg aus. Es ist kein richtiger Krieg wie der im Irak. Aber sie nennen das hier Krieg, als könnten sie nicht genug davon bekommen. Die Konservativen beklagen sich dann darüber, dass Weihnachten nicht mehr das ist, was es mal war. Sie beklagen sich über den Verfall der Werte, sie geifern in Talkshows und im Internet, sie fühlen sich verfolgt und nennen es diffus »War on Christmas« oder sogar »Krieg gegen das Christentum«. Als säße der wiedergeborene Nero im Weißen Haus und nicht der wiedergeborene Christ
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