Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Führerschein.
Die Dumme-Gesicht-Nummer funktioniert in den USA gut. Sie funktionierte auf Dienstreisen und im Urlaub, jeweils wegen Überschreitung des Tempolimits. Der Blick auf einen teutonischen Führerschein führte überall im Land zur sofortigen Assoziation »Autobahn«, und die Cops nickten verständnisvoll, und einige sagten, wir Deutschen hätten es gut. Die Frau hat diesen Trick auch schon mehrmals und mit großem Erfolg angewandt. Sie versteht sich obendrein mit den lokalen Polizisten sehr gut, spendet vor Weihnachten brav für die örtliche Polizei und brachte den Kindern früh bei, den Polizisten in ihren Streifenwagen zuzuwinken. Sie fahren hier nämlich viel Streife.
Vielleicht, weil in unserer kleinen Stadt relativ wenig passiert; das letzte Schwerverbrechen liegt Jahre zurück, ein Auftragsmord aus Eifersucht, aber so was kommt ja in den besten Familien vor. Bis auf diesen Sonderfall kann sich niemand an eine ernsthafte Untat erinnern mit Ausnahme vielleicht der Müllfirma Finocchio, die der Mafia zugerechnet wird.
Ein paar Meilen weiter in der City ist das natürlich schon anders, und mein Freund Angel, inzwischen aufgestiegen zum Captain der New Yorker Polizei und Vorsteher der 30. Wache in Harlem, kann die dollsten Geschichten erzählen über die legendären New Yorker Cops und seine Einsätze in Manhattan. Einmal lud uns Angel ein zu einer Feier der italienischen Brüderschaft der New Yorker Bullen, und im Festsaal sah es so aus, als wäre es ein gigantisches Casting für die »Sopranos« oder eine Neuverfilmung des »Paten«. Angel erzählte, wie Kollegen gelegentlich nach Diebstählen wiedergefundene Autos im Hudson oder East-River oder Long Island Sound versenken, damit sie nicht so viel Papierkram erledigen müssen. Oder von Weihnachtsfeiern in der Bronx, wo neuerdings eine Dame als Polizistin arbeitet, die acht Mal wegen Prostitution vorbestraft war. Er sagte, das sei eine sehr lustige Weihnachtsfeier gewesen, vermutlich so lustig wie die von Bayern München. Ein anderes Mal stellte er mich Michael Scagnelli vor, einem der ranghöchsten New Yorker Polizisten, dessen Büro ein Trophäenschrein ist. Scagnelli jagt nämlich nicht nur Missetäter, und sein Büro und die Räume seiner Mitarbeiter sind voll mit ausgestopften Tieren. Leoparden, Hirsche, Elche stellt er aus im Büro. Dutzende von Viechern hängen an den Wänden hoch über Manhattan, darunter auch seltene oder bedrohte oder solche, die Michael Scagnelli qua Schuss wahrscheinlich zum Aussterben gebracht hat. In seiner Sammlung fehlt eigentlich nur noch ein Menschenkopf.
In unserer Stadt dagegen ist die Polizeistation überschaubar und trophäenrein, und bestimmt arbeiten dort auch keine Teilzeit-Prostituierten, nicht mal bei Weihnachtsfeiern. Wir müssen bei uns auch nicht die Haustüren abschließen. Die Polizisten fahren ja Streife und winken Kindern wie unseren zu. Bei uns ist die Polizei tatsächlich Freund und Helfer.
Vor einiger Zeit verirrte sich ein Eichhörnchen in unser Haus. Es war ein großes, schwarzes Eichhörnchen. In Nordamerika haben graue und schwarze Eichhörnchen die rötlichen europäischen Verwandten weitgehend vertrieben, weil aggressiver. Das aggressive schwarze Eichhörnchen kam also die Wohnzimmertreppe heraufgehopst, wo es der Frau begegnete, die vor Schreck schrie. Auch das Eichhörnchen war erkennbar entsetzt, denn es erleichterte sich auf der Stelle. Frau und Eichhörnchen spielten sodann Katz und Maus. Die Frau öffnete alle Türen, aber das Tier blieb stur im Haus. Der Mann war auf Dienstreise und konnte nicht helfen. Schließlich, in ihrer Not, rief die Frau bei der Polizei an und entschuldigte sich zuallererst: »This is not an emergency, but …« Der diensthabende Polizist war froh über den Anruf, »don't worry Ma'am, we'll send someone over«. Fünf Minuten später stand Officer Wilkins in der Tür und verlangte das Eichhörnchen zu sehen, welches nach der Inspektion des zweiten Geschosses nunmehr das kleine Bücherzimmer besichtigte und dort mehr oder weniger in der Falle saß. Rudi, unser Hase, beobachtete das Wettrennen aus seinem Käfig heraus erstaunt, und es war nicht ganz klar, zu wem er hielt: Frauchen, Eichhörnchen oder Bulle. Der Officer griff zu einem schweren, braunen Band der Encyclopaedia Britannica und setzte an, damit das Tier zu erschlagen, aber in diesem Moment intervenierte die tierliebe Frau des Hauses und rief: »Stop, Stop, Stop!«. Sie drückte ihm eine frisch
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