Stars & Stripes und Streifenhörnchen
generiert – drei Viertel aller Flugverzögerungen in Amerika gehen auf das New Yorker Chaos zurück. Und ich kann an Eides statt versichern, dass ich immer, immer, immer Flüge aus dem Verspätungsdrittel erwische. Das ist noch ein Grund mehr, warum ich Angst VORM Fliegen habe. Des Weiteren sollte vielleicht erwähnt werden, dass ein gewisser Hang zur Tollpatschigkeit in mir wohnt, der schon im normalen Alltag leicht befremdlich ist, in Fluggeräten aber zur vollen Entfaltung kommt, insbesondere beim Verstauen des Handgepäcks. Das ist für andere Menschen offenbar überhaupt kein Problem. Für mich schon. Das Applizieren selbst kleinerer Taschen ins Staufach gerät bei jedem Flug zu einer unfreiwilligen Slapstickeinlage, löst bei den Mitreisenden aber nur mäßigen Frohsinn aus, weil Stau vorm Fach ist. Auch beim Verzehr von Mahlzeiten in Flugzeugen ist meine Ungeschicklichkeit nicht eben förderlich. Das an sich simple Entfernen der Aluminiumfolie über solchen Köstlichkeiten wie Huhn auf Nudeln oder Nudeln auf Huhn kann mich auf Flügen von New York bis nach Atlanta beschäftigen.
Ich habe obendrein aufgehört zu zählen, wie viele Becher Kaffee oder Coca Cola in meinem oder im Schritt des Sitznachbarn endeten, bis ich mir angewöhnte, nur noch neutrales Wasser zu ordern, was zwar gleichfalls schoßabwärts fließt, aber entschieden weniger Spuren hinterlässt. Nun sind, wie man nicht oft genug anmerken kann, Amerikaner grundgütig und geduldig und freundlich. Sie sagen nach solchen Missgeschicken Dinge wie »Don't worry, it happens to me all the time« oder »Shit happens« oder ganz liebe Menschen sagen sogar: »May I help you?«. Die Töchter des Hauses setzen sich bei gemeinsamen Flügen nur ungern in meine unmittelbare Nachbarschaft oder ziehen sich in weiser Voraussicht ganz alte Hosen an.
Die eigentliche Angst VORM Fliegen aber geht auf den nicht gerade ordnungsgemäßen Zustand der hiesigen Flugzeuge zurück. Viele amerikanische Maschinen haben musealen Charakter, korrespondieren aber immerhin altersmäßig mit den Saftschubsen, sorry: Stewardessen, sorry: Flugbegleiterinnen – 40 Jahre aufwärts. In Europa würden solche Maschinen und wahrscheinlich auch die Flugbegleiterinnen aus dem Verkehr gezogen oder nach Russland verkauft. In Amerika fliegen sie. Mehr oder weniger. Weniger geht so: Ansage des Kapitäns nach einer Stunde auf dem Runway: »Folks, Sie haben sicher schon bemerkt, dass wir auf der Startbahn stehen. Das liegt daran, dass wir Benzingeruch wahrgenommen haben, wir wollen das sicherheitshalber checken lassen und warten auf Personal vom Gate.« Wenn man Glück hat, kommt das Personal vom Gate und prüft den maroden Flieger, und wenn man ganz viel Glück hat, geben sie grünes Licht. Aber meistens ist kein Glück, und die Maschine rollt zurück ans Gate, »sorry folks, wir danken für Ihre Geduld«. Wenn mal Glück ist und grünes Licht und man wider Erwarten startet, kann es Vorkommen, dass sich über dem Atlantik der Kapitän meldet und sagt: »Sorry, folks, wir haben ein kleines Problem mit der Elektronik und wollen kein Risiko eingehen. Wir fliegen zurück.« Zurück auf dem Boden in New York behebt das technische Personal dann den kleinen elektronischen Defekt, und nach zweieinhalb Stunden ist man wieder in der Luft und über dem Atlantik. Seniorinnen in blauen Uniformen reichen Wasser und Erdnüsse, und schließlich meldet sich abermals der Kapitän: »Sorry folks, wir dachten, der kleinere technische Defekt sei behoben, aber …«
Genau so endete vor Jahren ein transatlantischer Flug von New York nach Brüssel gleich zweimal wieder am Ausgangspunkt in New York. Die Angst VORM Fliegen habe ich in Amerika gelernt. Und speziell in Maschinen einer Fluggesellschaft, die wie eine Flussmündung heißt. Möglicherweise ist es unfair, den Luft-Transporteur Delta besonders hervorzuheben, weil die qualitativen Unterschiede zwischen den Gesellschaften und alten Maschinen und Saftschubsen eher marginal sind. Aber es kann nicht von ungefähr kommen, dass Delta im Fliegerjargon für » D oesn't E ver L eave T he A irport« steht. Ich musste oft mit Delta fliegen.
Die ältere Tochter des Hauses hatte in Europa auch nie Angst vorm Fliegen. Das änderte sich hierzulande abrupt, was womöglich mit der schon mehrmals erwähnten Offenherzigkeit der Amerikaner zusammenhängt, von der Piloten und Kopiloten auch nicht ausgenommen sind. Einmal kreisten wir auf einem Rückflug von Georgia über New York.
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