Startschuss
Selbst von den Zuschauerrängen aus war das zu erkennen.
Tom schlug sich auf die Schenkel. »Was macht die denn da?«, lästerte er. »Sieht aus wie eine Sardine, die aus ihrer Dose springen
will!«
Seine Mitschüler lachten und grölten, obwohl Ilka immer noch gut vor der Grünheimerin lag, aber leider hinter den anderen.
Michael lief vor Wut rot an. »Jetzt langt’s mir. Dem poliere ich die Fresse!« Er erhob sich. Linh wollte ihn wieder festhalten.
Doch diesmal schlug Michael Linhs Arm beiseite.
»Lass mich!«, fauchte er sie an. »Wenn du schon nichts tust!«
»Du kannst nicht beweisen, dass die den Badeanzug . . .«
»Ich brauche keine Beweise. Ich weiß, was Sache ist. Sie wissen, dass sie gegen uns keine Chance haben. Deshalb sabotieren
sie uns. Meine vergifteteApfelschorle, der verschwundene Badeanzug. Das reicht ja wohl.« Michael stakste durch die Reihe, stürmte auf Tom zu und packte
ihn an seinem ärmellosen Shirt.
»Findet ihr das witzig oder was?«, brüllte er Tom an.
Tom schubste Michael zurück. »Haben sie dich gebissen?«
Michael wankte durch den Stoß zurück, fiel, hielt sich aber immer noch an Toms Shirt fest und riss ihn dadurch mit zu Boden.
Die beiden polterten über die Sitzbänke und landeten hart eine Reihe tiefer, wo bedauerlicherweise zwei Lehrer einer Gastschule
saßen. Die Lehrer sprangen auf und packten Tom und Michael am Genick.
»Was ist denn hier los, meine Herren?«, fragten sie.
Ilka wendete mit einer Rolle vorwärts, stieß sich mit beiden Füßen vom Beckenrand ab, ließ sich wieder ein Stückchen gleiten,
wagte einen Blick zu den Seiten und erkannte, dass die anderen vor ihr waren. Alle anderen! Sogar die Grünheimerin!
Die hole ich noch!, nahm sie sich vor. Obwohl sie nicht wusste, wie so eine Aufholjagd funktionierensollte. Es war noch nie vorgekommen, dass sie nicht mindestens als Zweite gewendet hatte. Meistens war sie die Erste am Wendepunkt
und hatte sich höchstens auf den letzten zehn oder fünf Metern noch von einer anderen Schwimmerin abfangen lassen müssen.
Aber jetzt allen anderen als Letzte hinterherzuschwimmen, war eine neue Situation für sie. Der Endspurt war nicht gerade Ilkas
Stärke, sondern eigentlich die ersten 25 Meter, in denen sie sich sonst meistens einen komfortablen Vorsprung herausgeschwommen hatte.
Nicht denken!, befahl sie sich. Schwimmen!
Sie änderte ihren Rhythmus. Statt drei machte sie nun fünf Fußschläge auf einen Armzug. Sie atmete nicht mehr bei jedem zweiten
Zug des linken Arms ein, sondern nur noch bei jedem dritten. Die Luft musste einfach bis dahin reichen. So lag sie länger
stromlinienförmig im Wasser, und die verstärkte Beinarbeit war zwar kräftezehrend, katapultierte sie aber schneller voran.
»Benehmt euch, verstanden?«, mahnten die Lehrer.
»Er hat angefangen!«, beteuerte Tom.
»Sie haben Ilka den Badeanzug geklaut!«, behauptete Michael im Gegenzug.
»Wir sind hier auf einem Sportfest!«, stellten die Lehrer klar und wollten von den gegenseitigen Anschuldigungen nichts hören.
»Wir werden euch beide melden! Wenn ihr Pech habt, werdet ihr vom weiteren Wettkampf ausgeschlossen. Und jetzt zurück auf
eure Plätze!«
Wie zwei geschlagene Hunde trotteten die beiden zurück in ihre Reihen.
Jabali sprang auf. Eigentlich wollte er Michael in Empfang nehmen, doch jetzt sah er, dass Ilka einen Turbo eingelegt hatte.
»Seht euch das an! Sie holt auf!«
Linh war ebenfalls aufgesprungen. Sie war allerdings so klein, dass das fast gar nicht auffiel.
Ilka im Endspurt, das hatte es noch nie gegeben.
»Sie schafft es!«, schrie Linh aufgeregt.
Auch Lennart war von Ilkas Kampfgeist hin und weg. »Bei der Wende war sie noch Letzte, jetzt schon Dritte!«
Ilka spürte, wie ihre Kräfte schwanden. Ihr Rhythmuswechsel hatte zwar den erwünschten Erfolg gebracht, aber doch mehr Kraft
gekostet, als sie vermutet hatte. Die Arme schmerzten. Jedes Mal wenn sie kurz den Kopf aus dem Wasser hob, um zu atmen, bekam
sie mehr und mehr das Gefühl,dass gar keine Luft in ihre Lungen drang. Der Träger des Turnanzugs behinderte sie nach wie vor. Ilka drohte erneut zurückzufallen.
Kämpfen!, befahl sie sich. Durchhalten!
Nie zuvor war ihr das Schwimmen so schwergefallen. Aber sie durfte nicht aufgeben. Ihre Arme begannen zu schmerzen, aber sie
kämpfte sich weiter vorwärts. Nur noch ein kleines Stück. Noch einmal das Tempo verschärfen, schoss es ihr durch den Kopf.
Du schaffst es, du
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