STASIRATTE
Jahre später erfuhr ich durch die Medien, dass wir uns in Tarek nicht geirrt hatten.
* * *
Das Oderbruch ist eine Landschaft von herber Schönheit. Weit geht der Blick über Äcker und Felder, ab und an vonschmalen Landstraßen durchschnitten. Die Feldwege sind gesäumt von Buschwerk und alten Obstbäumen. Ab und an findet man aufgetürmte Hügel aus Feldsteinen, die beim jährlichen Pflügen abgesammelt werden. Geht der Blick über ein weites Feld, liegt manchmal mittendrin in einer Senke eine einsame Insel aus hohen Bäumen mit einem kleinen Teich und dichtem, hohem Gras. Je näher man der Oder kommt, liegen die Dörfer immer weiter voneinander entfernt. Lange kann man auf der einsamen Landstraße fahren, bevor wieder ein Ortseingangsschild erscheint.
Beinahe dreißig Jahre ist es her, dass mir Paul dort voller Stolz sein frisch erworbenes Stück Land zeigte. Zu dieser Zeit verrotteten in den Dörfern die Gotteshäuser und die alten Umfriedungsmauern der Kirchhöfe vor sich hin. Aus den großen Scheunen der verjagten Gutsherren wuchsen Bäume, falls sie nicht schon in sich zusammengefallen waren. Auch die wenigen verbliebenen Gutshäuser verharrten in morbider Starre. Sie waren über die Jahre verschiedenartig als Schulen, Büros der Landwirtschaft, Lagerhallen oder Werkstätten kaputtgenutzt worden.
Es war Frühsommer, als Paul mich einlud, sein Grundstück im Oderbruch zu besichtigen. Ich war sehr gespannt. Er holte mich am Vormittag ab und ich stieg in seinen nagelneuen Mazda, der sich außerordentlich gut machte zwischen all den Wartburgs und Trabis. Als ich im Auto saß, interessierten mich zunächst die leuchtend grünen Anzeigen des Armaturenbretts. Auch den bequemen Sitzen und der eleganten Innenausstattung zollte ich ausreichend Beachtung. Paul gefiel meine Euphorie.
So fuhren wir durch Berlin und verließen die Stadt in Rich-tung Osten. Es folgten einige typische Vorstadtgemeinden, dann wurde es immer ländlicher. Besonders gezeichnet im Wortsinn war ein Ort, in dem eine Zementfabrik stand. In denZweigen der Büsche und Bäume, die die Landstraße säumten, hing weißlich grauer Zementstaub, der nur bei starkem Regen abgewaschen wurde. Die Häuser am Straßenrand trugen eine ähnliche Panade, wodurch sie kränklich und abstoßend aussahen. Die Filteranlagen des Produktionsbetriebs waren nicht in der Lage, die Umwelt vor den Emissionen zu schützen.
Weiter ging es und die Gegend wurde dünner besiedelt. Felder und Waldstücke wechselten sich auf weitem Flachland ab. Das Wetter war noch kühl, aber die Sonne stand schon recht hoch am Himmel und versprach einen warmen Tag. Die Straße war zum größten Teil asphaltiert, nur einige Kilometer erinnerte der Belag mit kleinen Pflastersteinen an vergangene Zeiten und die Strapazen der Reisenden in Pferdekutschen. Unser Weg führte durch einen dichten Wald. Laubbäume säumten die Allee, die schnurgerade vor uns lag.
Wir passierten ein Dorf, dessen große Kirche aus rotem Backstein auf einem Hügel stand und um das Land herum zu wachen schien. Kurz darauf hatten wir unser Ziel erreicht. Der Weg krümmte sich nach ein paar hundert Metern und plötzlich standen wir auf einer Anhöhe mit einem alten Hof, der von zwei Seiten mit alten Gehöften umgeben war und sonst in ziemlicher Abgeschiedenheit lag.
Ich war überwältigt von der Größe des Geländes und sah mich schweigend um, während Paul mir die Dimensionen mit ausholenden Bewegungen näher erklären wollte. Schließlich nahm er meine Hand und wir gingen vom Hof hinab durch einen alten Garten, den ich an den alten Obstgehölzen und den zugewachsenen Beeten noch als solchen erkennen konnte. Das Gelände fiel noch weiter ab und führte über eine bucklige Wiese mit hohem Gras. In einer Senke vor uns lagen mehrere lang gestreckte Teiche, die von alten knorrigen Weiden eingerahmt wurden. In einem befand sich sogar eine winzige Insel, auf der ein paar Büsche standen.
Wir standen am Ufer und sahen über das Wasser. Durch den Sonnenschein ermutigt, flogen einige Insekten über das glitzernde Wasser. Vogelgesang war zu hören und nur ab und an das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos auf der Landstraße. Ich dachte nach: Hatte Paul, der so sehr seine Unabhängigkeit liebte und betonte, mich hierher mitgenommen, weil er von einer gemeinsamen Zukunft träumte? Hier an diesem wunderschönen Platz wollte ich keine Sekunde daran zweifeln. Wir waren hier, er und ich, und sonst niemand. Ich genoss den
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